Einsatz gegen die Todesstrafe

DIE TODESSTRAFE

Amnesty International lehnt die Todesstrafe uneingeschränkt ab und setzt sich für ihre weltweite Abschaffung ein.

Amnesty International fühlt mit den Opfern von Gewaltverbrechen und ihren Angehörigen. Die Menschenrechtsorganisation erkennt selbstverständlich auch das Recht und die Verantwortung von Staaten an, Straftatverdächtige vor Gericht zu stellen. Gleichwohl wendet sich Amnesty International stets und ohne Vorbehalt gegen die Todesstrafe, ungeachtet der Schwere eines Verbrechens, der Schuld oder Unschuld des Verurteilten oder der Hinrichtungsmethode. Amnesty International lehnt die Todesstrafe ab, weil sie eine Verletzung des Rechts auf Leben (des fundamentalsten Menschenrechts) und des Rechts, keiner grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden, darstellt. Diese Rechte sind in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN) in den Artikeln 3 und 5 verankert. Zur Einhaltung dieser Erklärung haben sich alle UN-Mitgliedstaaten verpflichtet.

Staatliches Töten ist keine angemessene Antwort auf Mord und Kriminalität. Die Todesstrafe ist wie die Folter ein nicht zu rechtfertigender Eingriff des Staates in die unverletzlichen Rechte des Individuums. Nach Überzeugung von Amnesty International darf staatliches Handeln Leben und Würde des Menschen nicht antasten. Nur ein kategorisches Verbot der Todesstrafe bringt die Idee zum Ausdruck, dass menschliches Leben das höchste Rechtsgut ist. Wenn der Staat selbst die Tötung eines Mörders anordnet, ist es schwierig zu erklären, dass das Töten eines Menschen Unrecht darstellt.

Die Botschaft von Amnesty International lautet deshalb unmissverständlich: Eine Regierung kann nicht gleichzeitig die Menschenrechte achten und die Todesstrafe verhängen.

Der weltweite Trend zur Abschaffung der Todesstrafe ist unumkehrbar geworden – so belegt durch die wegweisende Entscheidung der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 18. Dezember 2007, in der die Staaten der Welt mit 104 zu 54 Stimmen bei 29 Enthaltungen zu einem weltweiten Hinrichtungsstopp aufrufen. Die Entschließung ist inzwischen zum wiederholten Mal – inzwischen auch noch eindeutiger nicht nur mit dem Ziel der Aussetzung, sondern dem langfristigen Ziel der völligen Abschaffung des umstrittenen Rechtsinstruments formuliert – mit wachsender Stimmenzahl gegen die Todesstrafe bekräftigt worden. → Mehr dazu weiter unten im Kapitel „Auf dem Weg zur Abschaffung“

Auch wenn die Resolution rechtlich nicht bindend ist, hat sie doch ein starkes moralisches und politisches Gewicht. Sie erinnert die Staaten an ihre Zusage, die Abschaffung der Todesstrafe anzustreben. Als die Vereinten Nationen 1945 gegründet wurden, hatten nur acht der damals 51 Mitgliedstaaten die Todesstrafe abgeschafft. Heute haben 110 der 193 UN Mitgliedstaaten und 2 Territorien die Todesstrafe für alle Verbrechen beseitigt und insgesamt 144 Staaten und Territorien haben sie in Gesetz oder Praxis beendet.

An dieser Entwicklung dürfte auch Amnesty International einen Anteil haben: Am 11. Dezember 1977 veröffentlichten Amnesty International und die Teilnehmer einer Internationalen Konferenz über die Abschaffung der Todesstrafe die sogenannte Stockholmer Erklärung. Darin werden alle Regierungen auffordert, die sofortige und vollständige Abschaffung der Todesstrafe herbeizuführen. Dies war der Startschuss für Amnesty, gegen diese mittelalterliche Strafe weltweit mobil zu machen. Damals hatten erst 16 Länder die Todesstrafe vollständig abgeschafft. Fünfundvierzig Jahre später steht diese Zahl immerhin bei 112. Es ist also bereits viel geschafft aber längst noch nicht das Ziel erreicht worden: Eine Welt ohne Hinrichtungen.

Angesichts tausender Todesurteile und Hinrichtungen jedes Jahr besteht weiter dringender Handlungsbedarf. In einigen Staaten wurden alarmierende Forderungen laut, diese Strafe wiedereinzuführen, ihren Anwendungsbereich auszudehnen, sie verstärkt einzusetzen oder sie schneller zu vollstrecken. Niemand kann sich somit darauf verlassen, dass sich das Thema Todesstrafe in Zukunft von selbst erledigt. Zusammen mit einer Reihe anderer Organisationen setzt sich Amnesty International dafür ein, dass in naher Zukunft weltweit keine Hinrichtungen mehr vollzogen werden.

Was tut Amnesty International?

– Amnesty International ruft alle Regierungen, die die Todesstrafe noch per Gesetz vorsehen oder in der Praxis anwenden auf, alle Hinrichtungen sofort und auf Dauer zu stoppen, alle noch anhängigen Todesurteile in Haftstrafen umzuwandeln und die Todesstrafe aus den Rechtsordnungen zu streichen.
– Auf dem Weg zur Abschaffung der Todesstrafe begrüßt es Amnesty, wenn Staaten Hinrichtungsstopps erlassen oder Maßnahmen ergreifen, um die Zahl der mit der Todesstrafe zu ahndenden Tatbestände zu verringern.
– Die Organisation appelliert an alle Staaten, die noch an der Todesstrafe festhalten, aussagekräftige statistische Angaben über die Zahl der verhängten und vollstreckten Todesurteile zu veröffentlichen.
– Darüber hinaus bemüht sich Amnesty in jedem bekannt werdenden Einzelfall, ein Todesurteil oder eine Hinrichtung zu verhindern, und zwar unabhängig davon, ob die betreffende Person Gewalt angewendet oder befürwortet hat.

Dafür braucht Amnesty International auch Ihre Unterstützung. Zum Beispiel indem Sie sich an den Eilaktionen zum Thema Todesstrafe auf der Website von Amnesty International beteiligen (https://www.amnesty.de/mitmachen/urgent-actions?f[]=themes:82) oder an den Aktionen der Belarus-Kogruppe von Amnesty International – siehe Links im Europa-Abschnitt des Kapitels „Auf dem Weg zur Abschaffung“ weiter unten

TODESSTRAFE CONTRA MENSCHENRECHTE!

Das Recht auf Leben und das Recht, einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe unterworfen zu werden, werden in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, zu deren Einhaltung sich alle UN-Mitgliedsstaaten verpflichtet haben, anderen internationalen Menschenrechts-abkommen und vielen nationalen Verfassungen geschützt.

”Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.” (Artikel 3)

”Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.” (Artikel 5)

Die Todesstrafe verstößt jedoch unwiderruflich gegen das Recht auf Leben und ist immer grausam, unmenschlich und erniedrigend. Deshalb ist das Eintreten gegen die Todesstrafe seit langem fester Bestandteil der Arbeit von Amnesty International.

Die Vollstreckung eines Todesurteils durch den Staat bedeutet, dass der Staat genau die Handlung vornimmt, die das Gesetz strengstens verurteilt. Alle Rechtssysteme der Welt bedrohen die vorsätzliche Tötung mit schwersten Strafen – es gibt jedoch keine Tötung, die so vorsätzlich oder kaltblütig geschieht, wie die Hinrichtung eines Menschen!

Die Grausamkeit der Todesstrafe beschränkt sich nicht auf den tatsächlichen Moment der Hinrichtung. Schon die Erfahrung, in der Todeszelle auf die Hinrichtung warten zu müssen, ist grausam und unmenschlich und kann nicht durch die Entwicklung “humanerer” Hinrichtungsmethoden aufgewogen werden. Der Verurteilte wird lange vor der Hinrichtung gezwungen, mit der Vorstellung zu leben, an einem festgesetzten Tag exekutiert zu werden. Die ganze Zeit über steht er vor der quälenden Zerreißprobe zwischen Lebenswillen und Hoffnung einerseits und der Notwendigkeit, sich auf den möglicherweise drohenden Tod vorzubereiten andererseits. Die Androhung, einen Gefangenen zu töten, kann eine der grauenerregendsten Formen der Folter sein. Als Folter ist dies verboten. Wie kann es dann gestattet sein, einen Gefangenen eben dieser Androhung in Form eines Todesurteils auszusetzen – in einem Rechtsstaat, auszuführen durch die Behörden?!?

Einmal von den im Regelfall völlig unschuldigen Angehörigen ganz abgesehen, die je nach Land noch nicht einmal wissen, ob der Vater, Bruder, Sohn, Tochter etc. morgen stirbt oder sogar schon hingerichtet wurde und gegebenenfalls sogar an einem ihnen unbekannten und geheim gehaltenen Ort begraben wurde (z.B. in Belarus – hier in Europa!).

Amnesty International wendet sich grundsätzlich und in jedem Fall gegen die Todesstrafe. Aus diesen wie aus zahlreichen anderen Gründen:

In vielen Ländern genügen Todesstrafenverfahren nicht internationalen Rechtsstandards – zum Beispiel erhalten die Angeklagten keinen Anwalt oder ihnen werden Berufungsmöglichkeiten verwehrt.

Die Todesstrafe wird in so gut wie jedem Anwenderstaat in unverhältnismäßigem Umfang gegen sozial benachteiligte Personen oder Gruppen verhängt. Doch selbst wenn sich die Auswirkungen rassischer Diskriminierung oder wirtschaftlicher Ungleichheit beseitigen ließen, würden in jedem System, das von Menschen mit all ihren Schwächen errichtet und verwaltet wird, andere mögliche Ungleichheiten und Fehlerquellen fortbestehen!

Vor allem: kein noch so ausgeklügeltes Rechtssystem kann Fehlurteile verhindern. Denn Todesurteile wurden und werden immer wieder auch gegen Unschuldige verhängt und vollstreckt! Und dies nicht nur in Staaten, die für ihre unfairen Gerichtsverfahren bekannt sind, sondern auch in Staaten mit langwierigen Berufungsverfahren wie den USA. Seit 1973 mussten in 29 Bundesstaaten mindestens 192 Menschen (Stand Ende Mai 2023) wegen erwiesener Unschuld oder erheblicher Zweifel an ihrer Schuld aus den Todestrakten entlassen werden, 110 von ihnen allein seit Anfang 2000. Einige von ihnen hatten nur wenige Stunden vor ihrer Hinrichtung gestanden, sie verbrachten zwischen 2 und 43 Jahren unschuldig im Todestrakt. Wie viele gleichfalls Unschuldige, aber weniger glückliche Gefangene noch in US-Todeszellen sitzen und auf ihre Hinrichtung warten – oder gar hingerichtet wurden – wird wohl nie mit Sicherheit festzustellen sein. Noch muss bewiesen werden, dass die USA tatsächlich eine unschuldige Person seit Wiederaufnahme der Hinrichtungen im Jahr 1977 exekutiert haben, auch wenn zahlreiche Gefangene exekutiert wurden, obwohl erhebliche Zweifel an ihrer Schuld bestanden.

Das Problem, möglicherweise oder tatsächlich Unschuldige zum Tode zu verurteilen und hinzurichten, beschränkt sich nicht auf die USA allein. Amnesty International verzeichnete im Jahr 2022 Umwandlungen von Todesurteilen in 26 Ländern. Zudem dokumentierte Amnesty International mindestens 28 Urteilsaufhebungen / nachträgliche Entlastungen von zum Tode verurteilten Personen in vier Ländern  Kenia (20), Marokko/Westsahara (1), Simbabwe (5) und USA (2).

Seit 2020 wurden damit Umwandlungen von zu Unrecht verhängten Todesurteilen außer aus den USA unter anderem aus Bahrain, China, Kamerun, Kenia, den Malediven, Marokko/Westsahara, Nigeria, Sambia, Simbabwe, Singapur und Taiwan bekannt (nur nirgendwo anders so systematisch und vollständig dokumentiert wie in den USA).

Es gibt auch keine kriminologische Rechtfertigung für die Todesstrafe, die einer Abschaffung entgegen stehen würde. Die Behauptung, dass die Todesstrafe als Abschreckung für Schwerverbrecher notwendig sei, konnte nirgendwo auf der Welt belegt werden, obwohl dazu zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen – auch mit genau dieser Zielrichtung – durchgeführt wurden. Die Todesstrafe wirkt nicht abschreckender als eine Freiheitsstrafe und auch der Schutz vor Wiederholungstätern – bei Tötungsdelikten trotz der immer wieder schlagzeilenträchtigen Fälle ohnehin selten – kann anderweitig gewährleistet werden. Eine Gefängnisstrafe oder die Einweisung in eine Anstalt zum Zwecke der Isolierung des Straftäters von der Gesellschaft bietet gegenüber der Todesstrafe als Mittel zum Schutz vor Rückfalltätern einen entscheidenden Vorteil: Justizirrtümer lassen sich zumindest teilweise wieder korrigieren. Mit der Todesstrafe hingegen wird sowohl das Leben von möglicherweise rehabilitierbaren Straftätern wie auch das Leben von unschuldig Verurteilten ausgelöscht.

Die Todesstrafe schafft Verbrechen nicht aus der Welt. Sie ist eine Pseudo-Lösung, die die Aufmerksamkeit von den erforderlichen Maßnahmen zur Verbrechensbekämpfung ablenkt und den falschen Eindruck erweckt, es würden entscheidende Maßnahmen getroffen.

AUF DEM WEG ZUR ABSCHAFFUNG DER TODESSTRAFE!

Die Grundlage der Gerechtigkeit ist die Achtung vor der Würde des Menschen. […] Die Todesstrafe ist unter gar keinen Umständen akzeptabel.“
(Tsachiagiin Elbegdordsch, Präsident der Mongolei, 16. Juni 2015)

Knapp 75 Jahre nach der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist der Trend zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe unverkennbar. Als die Deklaration 1948 von der UN-Vollversammlung angenommen wurde, hatten lediglich 8 Staaten die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft – heute liegt diese Zahl bei 112 Staaten!

Der Trend zur Abschaffung der Todesstrafe ist nicht mehr umzukehren. 144 Staaten und somit mehr als zwei Drittel der Staaten der Welt haben die Todesstrafe inzwischen zumindest in der Praxis, wenn nicht sogar gesetzlich abgeschafft.

Derzeit (Stand 16.05.2023) haben
• 110 Staaten und 2 Territorien die Todesstrafe vollständig abgeschafft;
• 9 Staaten die Todesstrafe für Friedenszeiten abgeschafft;
• 23 Staaten die Todesstrafe in der Praxis abgeschafft;

• 55 Staaten vollstrecken noch Todesurteile

Allein seit Beginn der 1990er Jahre haben über 70 Staaten und 2 Territorien die Todesstrafe für alle Delikte abgeschafft. So zum Beispiel 2007 ALBANIEN, die Cookinseln (NZ), KIRGISISTAN und RUANDA; 2008 ARGENTINIEN, der KOSOVO und USBEKISTAN, 2009 BOLIVIEN, BURUNDI und TOGO, 2010 GABUN, 2012 LETTLAND (vollständige Abschaffung – in Friedenszeiten bereits seit 1999 abgeschafft), 2015 MADAGASKAR, REPUBLIK KONGO und FIDSCHI, 2016 BENIN und NAURU und 2017 die MONGOLEI und GUINEA (2016 bereits für Friedenszeiten). 2020 schaffte der TSCHAD die Todesstrafe vollständig ab, nachdem diese 2017 bereits für alle Verbrechen außer Terrorismus abgeschafft worden war. 2021 schaffte SURINAME die Todesstrafe ab, 2022 KASACHSTAN (2007 bereits für Friedenszeiten), PAPUA-NEUGUINEA, SIERRA LEONE, die ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK. SAMBIA und ÄQUATORIALGUINEA änderten 2022 ihre Strafgesetze dahingehend, dass die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft ist.

1995 war das erste Jahr in der Geschichte der Menschheit, in dem weniger als die Hälfte aller Staaten die Todesstrafe noch angewendet haben. Heute wird in mehr als 2/3 der Staaten dieser Erde nicht mehr hingerichtet – allerdings lebt in diesen Ländern nur ca. 1/3 der Weltbevölkerung.

Die UN setzt sich seit Jahrzehnten für die Abschaffung der Todesstrafe ein. Während die UN vor 30 Jahren die Abschaffung der Todesstrafe lediglich als “wünschenswert” bezeichnete, wandelte sich die UN-Position in den letzten Jahren in ein klares “Nein” zur Todesstrafe:

Der INTERNATIONALE STRAFGERICHTSHOF sieht – wie die internationalen Tribunale zum ehemaligen Jugoslawien und zu Ruanda – keine Verhängung der Todesstrafe vor. Dass die Mehrheit in der Staatengemeinschaft diese Strafe sogar für Völkermord und andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht anwenden möchte, war bereits ein eindeutiges Signal.

2007 brachte eine breite Staatenkoalition aus allen Erdteilen eine Resolution für ein weltweites Hinrichtungsmoratorium mit dem Ziel einer endgültigen weltweiten Abschaffung der Todesstrafe ein und wurde dabei von der Europäischen Union sowie durch Amnesty International, die Weltkoalition gegen die Todesstrafe und anderen Organisationen unterstützt. Am 18. Dezember 2007 schließlich rief die UN-VOLLVERSAMMLUNG in einer wegweisenden Resolution mit 104 zu 54 Stimmen bei 29 Enthaltungen „alle Staaten, die noch an der Todesstrafe festhalten, auf, … die Anwendung der Todesstrafe zunehmend einzuschränken und die Zahl der Straftatbestände, für die sie verhängt werden darf, zu verringern“ und „…ein Moratorium für Hinrichtungen in Kraft zu setzen mit dem Ziel, die Todesstrafe abzuschaffen.“

Gegenüber den Resolutionen von 2007, 2008, 2010, 2014 und 2015 ist der Wortlaut seit der 6. Resolution von 2016 noch stärker Richtung Abschaffung und nicht nur Aussetzung formuliert. Deutschland votierte wie alle EU-Staaten für die Entschließung. Die Bewegung gegen die Todesstrafe wird aber nicht mehr nur von westlichen Staaten bestimmt, sondern findet weltweite Unterstützung. So gehörten 2016 zum Beispiel Guinea und die Mongolei, die 2017 dann selbst die Todesstrafe abschafften, zu den Ko-Sponsoren.

Am 15.12.2022 stand erneut eine Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf der Tagesordnung. Mit überwältigender Mehrheit nahm das Gremium die 9. Entschließung an, die zu einem sofortigen weltweiten Hinrichtungsstopp (Moratorium) aufruft. Langfristiges Ziel ist die völlige Abschaffung dieses umstrittenen Rechtsinstruments. Von den 193 Mitgliedsstaaten der UN stimmten 125 Länder für ein Hinrichtungsmoratorium, so viele wie nie zuvor. Die Zahl der Staaten, die für diese Resolutionen stimmen, ist von 104 im Jahr 2007 auf 123 im Jahr 2020 und 125 im Jahr 2022 gestiegen (und ja, die USA stimmt noch immer mit nein, obwohl sich die Biden-Regierung doch gegen die Todesstrafe gibt … und diverse NGOs und Gouverneure die Bundesregierung aufgerufen hatten, diesmal mit ja statt nein zu stimmen)

Mehrere Staaten haben ihr Abstimmungsverhalten im Vergleich um Dezember 2020 positiv verändert. Ghana, Liberia und Myanmar stimmten dafür, nachdem sie sich bei der Plenarsitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2020 noch der Stimme enthalten hatten; Uganda änderte sein Votum von Nein zu Ja und Papua-Neuguinea von Nein zu Enthaltung. Palau und die Salomonen votierten für die Annahme der Resolution, nachdem sie bei der Plenarsitzung im Jahr 2020 nicht an der Abstimmung teilgenommen hatten.

„Die Tatsache, dass mehr Länder als je zuvor für die Beendigung von Hinrichtungen gestimmt haben, zeigt, dass die weltweite Abschaffung der Todesstrafe zu einer unausweichlichen Realität wird. Eine Welt ohne Todesstrafe ist näher als je zuvor. Diese Abstimmung sendet ein weiteres wichtiges Signal, dass immer mehr Länder bereit sind, Schritte zu unternehmen, um diese grausame, unmenschliche und erniedrigende Strafe ein für alle Mal zu beenden“, kommentierte die Amnesty-Anti-Todesstrafen-Expertin Chiara Sangiorgio.
Das Ergebnis zeigt nach Auffassung von Amnesty International, dass sich ein Konsens zur endgültigen Beendigung der Todesstrafe aufbaut. Ebenso deutlich ist auch die zunehmende Isolation der 37 Länder, die gegen die Resolution gestimmt haben. Die Staaten, die immer noch an der Todesstrafe festhalten, sollten sofort ein Moratorium für Hinrichtungen als ersten Schritt auf dem Weg zur vollständigen Abschaffung einführen.
Die Resolution der Generalversammlung ist zwar nicht bindend, hat aber großes moralisches und politisches Gewicht – ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einer Welt ohne Todesstrafe. Jetzt muss der Hinrichtungsstopp auch umgesetzt werden. Amnesty International setzt darauf, dass die Resolution den Druck auf jene Staaten erhöht, die die Todesstrafe noch anwenden und dass diese Staaten als ersten Schritt auf dem Weg zur Abschaffung, keine Hinrichtungen mehr vollstrecken.

WIE SIEHT ES IN EUROPA AUS?

In Europa ist der Trend zur Abschaffung der Todesstrafe besonders bemerkenswert. Das Europaparlament fordert heute eine Verpflichtung auf die Abschaffung der Todesstrafe zumindest in Friedenszeiten von allen Mitgliedsstaaten. Und die EU verfolgt eine offene Politik der Förderung der Abschaffung der Todesstrafe auch in Drittstaaten.

Doch auch in Europa besteht durchaus noch Handlungsbedarf. So sollte die RUSSISCHE REPUBLIK eigentlich gemäß einem Ultimatum des Europarates die Todesstrafe bis zum 28.02.1999 abschaffen, um Vollmitglied werden zu können. Seit 1997 besteht dort zwar ein Hinrichtungsmoratorium, im Juni 1999 wurden alle bestehenden Todesurteile umgewandelt und Präsident Putin hat im Juli 2001 erklärt, dass er für eine Abschaffung der Todesstrafe sei, auch liegt der Duma ein Antrag zur Abschaffung der Todesstrafe vor – doch gesetzgeberische Schritte zur Abschaffung werden weiter hinausgezögert.

Im Gegenteil: nach dem jüngsten Rauswurf aus dem Europarat aufgrund des Angriffs auf die Ukraine sagte der frühere russische Präsident Dmitri Medvedev der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti, dass die Wiedereinsetzung der Todesstrafe nicht auszuschließen sei, wenn sich zum Beispiel die Kriminalitätslage verschlechtern würde. Die internationale Verpflichtung zur Aussetzung der Todesstrafe sei mit dem Ausscheiden aus dem Europarat schließlich entfallen. Zugleich betonte er, dass es sich um eine “schwierige Frage” handele und keine Notwendigkeit zur Wiedereinführung bestehe, wenn in Russland alles “ruhig” bleibe.

Soweit es bekannt ist, ergingen 2022 in der Region keine neuen Todesurteile.

Vermutlich befindet sich in BELARUS und KASACHSTAN jeweils eine Person im Todestrakt. Nach Angaben der kasachischen Behörden wurde im Januar 2022 der Fall der letzten verbleibenden Person in der Todeszelle zur Überprüfung geschickt, um das Todesurteil in eine lebenslange Haftstrafe umzuwandeln. Bis Ende 2022 gab es jedoch keine öffentlich zugänglichen Informationen darüber, ob dieses Todesurteil tatsächlich umgewandelt wurde. In Kasachstan trat im Januar das Gesetz Nr. 89-VII in Kraft, das die Todesstrafe vollständig aus den Gesetzen des Landes strich. Im März trat Kasachstan dem Zweiten Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zur Abschaffung der Todesstrafe ohne Vorbehalte bei. Im Juni wurden Verfassungsänderungen rechtsverbindlich, durch welche die Abschaffung der Todesstrafe in der Verfassung verankert wurde.

Das einzige Land Europas, in dem derzeit tatsächlich noch hingerichtet wird, ist BELARUS:

Insgesamt kann bei 15 Straftatbeständen die Todesstrafe verhängt werden. Davon gelten 13 Straftatbestände in Friedenszeiten und zwei in Kriegszeiten. Die Verhängung der Todesstrafe ist für keinen Straftatbestand zwingend vorgeschrieben, sondern liegt im Ermessen des Gerichts. Alternatives Strafmaß ist die 1999 eingeführte lebenslange Freiheitsstrafe. In der Praxis wird die Todesstrafe derzeit bei „vorsätzlichem Mord unter erschwerenden Umständen“ (Paragraf 139 Strafgesetzbuch) und Terrorismus verhängt.

Im Mai sowie im Dezember 2022 wurde der Anwendungsbereich der Todesstrafe in Belarus ausgeweitet. So kann diese nun auch für „versuchte Terrorakte“ und „Hochverrat welcher durch Staatsbedienstete oder Militärangehörige“ begangen wird, verhängt werden. Gegen Staatsbedienstete und Militärangehörige, die sich abwertend über den Staat äußern und damit der nationalen Sicherheit von Belarus „irreparablen Schaden“ zugefügt haben, kann künftig die Todesstrafe verhängt werden. Die Auslegung ist Sache der Gerichte.Die letzte der Änderungen trat im März 2023 in Kraft. Die Ausweitungen sind besonders deshalb alarmierend, da die belarussischen Behörden „Terrorismus“ nur vage definieren und Anklagen im Zusammenhang mit Terrorismus dazu verwendet werden, abweichende politische Meinungen zu verfolgen. Nach Angaben des belarussischen Menschenrechtszentrums Viasna wurden bereits Dutzende politische Aktivist*innen wegen „versuchten Terrorismus“ angeklagt. Die Todesstrafe wurde nach aktuellem Kenntnisstand für den erweiterten Anwendungsbereich noch nicht eingesetzt

Hinrichtungen in Weißrussland werden als geheime Erschießungen – meist innerhalb von 6 Monaten nach der Verurteilung – ausgeführt. Unangekündigt. In Belarus werden Gefangene in der Todeszelle erst wenige Momente vor ihrer Hinrichtung über die Exekution informiert. Man bringt sie in einen Raum, in dem ihnen in Anwesenheit des Gefängnisdirektors, des Staatsanwalts und eines weiteren Mitarbeiters des Innenministeriums mitgeteilt wird, dass ihr Gnadengesuch abgelehnt wurde und das Todesurteil nun vollstreckt wird. Dann werden sie in einen angrenzenden Raum gebracht. Dort zwingt man sie, sich hinzuknien und schießt ihnen in den Hinterkopf. Der Leichnam wird anschließend nicht den Familien überstellt. In den meisten Fällen werden die Angehörigen erst nach der Exekution von der Hinrichtung in Kenntnis gesetzt. Der Bestattungsort wird ihnen nicht mitgeteilt. Informationen über die Todesstrafe gelten in Belarus als Staatsgeheimnis. Aufgrund der Geheimhaltung können weder verlässliche Daten über die Anzahl der Todesurteile und Hinrichtungen erhoben werden, noch die Identität aller Todeskandidaten geklärt werden.

Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 sollen in Belarus etwa 400 Personen zum Tode verurteilt und hingerichtet worden sein.

Im Jahr 2008 wurden in Belarus mindestens vier Todesurteile vollstreckt. Im Jahr 2009 soll es keine Hinrichtungen gegeben haben. 2010 und 2011 waren jeweils zwei, 2012 mindestens drei Hinrichtungen bekannt geworden. Im Jahr 2013 fanden erstmals seit 2009 keine Hinrichtungen statt – im Jahr 2014 wurden allerdings erneut 3 Menschen hingerichtet. Aus dem Jahr 2015 wurden keine Hinrichtungen bekannt, es ergingen jedoch mindestens zwei neue Todesurteile Im Jahr 2016 wurden mindestens vier weitere Todesurteile verhängt und vier Personen hingerichtet. Im Jahr 2017 wurden zwei weitere Todesurteile vollstreckt und mindestens vier neue Todesurteile verhängt.

Im Januar 2018 wurden Viachaslau Sukharko und Aliaksandr Zhylnikau zum Tode verurteilt. Berichten zufolge wurden Mitte Mai 2018 die Todesurteile gegen Aliaksei Mikhalenya und Viktar Liotau vollstreckt. Im Juni 2018 setzte das Oberste Gericht von Belarus in einem bisher nicht dagewesenen Schritt die Todesurteile gegen Ihar Hershankou und Siamion Berazhnoy für einen Monat aus. Ende November 2018 wurden beide jedoch hingerichtet.

Im Dezember 2018 verurteilten die UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtssituation in Belarus, die UN-Sonderberichterstatterin über außergerichtliche, summarische oder willkürliche Hinrichtungen und der UN-Menschenrechtsausschuss die fortwährende Anwendung der Todesstrafe in Belarus. Sie verurteilten auch, dass Belarus nicht den Bitten des UN-Menschenrechtsausschusses entsprochen hat, Aliaksei Mikhalenya, Ihar Hershankou und Siamion Berazhnoy nicht hinzurichten, solange der Ausschuss ihre Fälle noch untersucht.

Bei der Überprüfung der Einhaltung zweier internationaler Abkommen, die Belarus ratifiziert hat, empfahlen der UN-Menschenrechtsausschuss und der UN-Ausschuss gegen Folter unter anderem, dass Belarus ein Hinrichtungsmoratorium mit der Perspektive, die Todesstrafe abzuschaffen und Todesurteile umzuwandeln, in Erwägung ziehen sollte. Der UN-Menschenrechtsausschuss drückte seine Besorgnis darüber aus, dass Personen, denen die Todesstrafe droht, ein faires Gerichtsverfahren verweigert wird, weder sie noch ihre Angehörigen vom Datum der Hinrichtung in Kenntnis gesetzt werden, die Leichen der Hingerichteten den Familien nicht übergeben werden und dass ihnen nicht mitgeteilt wird, wo sie begraben sind. Außerdem verlieh der Ausschuss gegen die Folter seiner tiefen Besorgnis über die Befunde des UN-Menschenrechtsausschusses Ausdruck, dass Schuldgeständnisse unter Druck oder Folter zustande gekommen sind und darüber, dass Berichten zufolge Personen im Todestrakt in Einzelhaft gehalten werden.

Im Jahr 2019 wurden drei Todesurteile verhängt und vermutlich mindestens drei Männer hingerichtet.

Im Januar 2019 erging gegen Alyaksandr Asipovich die Todesstrafe. Das Urteil wurde im Mai aufrechterhalten. Berichten zufolge wurde er inzwischen hingerichtet.

Im Juni 2019 wurde bekannt, dass das Urteil gegen Aliaksandr Zhylnikau vollstreckt wurde, der gemeinsam mit Viachaslau Sukharko im Janaur 2018 zum Tode verurteilt worden war. Zum Schicksal Sukharkos ist nichts bekannt. Da Mitangeklagte jedoch gewöhnlich gemeinsam hingerichtet werden, gehen das belarussische Menschenrechtszentrum Viasna und Amnesty International inzwischen davon aus, dass auch Viachaslau Sukharko hingerichtet wurde.

Am 30. Juli 2019 fällte das Regionalgericht in Witebsk gegen Viktar Paulau das Todesurteil. Der Oberste Gerichtshof von Belarus bestätigte den Urteilsspruch am 12. November 2019. Der Angeklagte war für schuldig befunden worden, im Dezember 2018 zwei Menschen ermordet zu haben. Nach Angaben örtlicher Menschenrechtsverteidiger_innen kam es im Prozess zu Unregelmäßigkeiten, die gegen das Recht von Viktar Paulau auf ein faires Gerichtsverfahren verstießen.

Am 25. Oktober 2019 sprach Berichten zufolge das Regionalgericht Brest gegen Viktar Serhil das Todesurteil aus.

Im Jahr 2020 sind drei neue Todesurteile gefällt worden, Hinrichtungen wurden nicht bekannt.

Am 10. Januar 2020 verhängte das Regionalgericht Mahiliou über die Brüder Illia und Stanislau Kostseu, 21 und 19 Jahre alt, wegen Mordes an ihrer ehemaligen Lehrerin und Nachbarin die Todesstrafe. Am 22. Mai 2020 bestätigte der Oberste Gerichtshof das Todesurteil und das Brüderpaar richtete ein Gnadengesuch an den Präsidenten. Am 30. Mai 2021 wurde die Mutter der zum Tode verurteilten Brüder Stanislau und Illia Kostseu über die Bewilligung ihres Gnadengesuchs informiert. Der Präsident hatte seit Amtsantritt 1994 erst in einem einzigen Fall einem Gnadengesuch stattgegeben. Die Brüder wurden nach einer Zeit in Quarantäne, mit der eine Infizierung mit dem Coronavirus ausgeschlossen werden sollte, im August 2021 in ein reguläres Gefängnis verlegt und verbüßen lebenslange Haftstrafe

Der 29-jährige Viktar Skrundzik wurde am 6. März 2020 vom Landgericht Minsk nach einem Gerichtsverfahren in der Stadt Sluck zum Tode verurteilt. Der Mann wurde für schuldig befunden, im Januar 2019 zwei ältere Menschen getötet zu haben. Am 30. Juni 2020 hob der Oberste Gerichtshof sein Urteil und Strafmaß auf und ordnete eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Die Anhörungen im neuen Prozess begannen im September 2020, wurden jedoch aufgrund der COVID-19-Pandemie im Oktober ausgesetzt.

Viktar Serhel verlor seine Berufung vor dem Obersten Gerichtshof gegen seine Verurteilung wegen Mordes. Er bat den Präsidenten Ende 2020 um Gnade.

Im Jahr 2021 wurde mindestens eine Person hingerichtet und eine Person zum Tode verurteilt.

Am 10. Juni 2021 wurde Viktar Paulaus Schwester der Besuch bei dem im Jahr 2019 zum Tode Verurteilten untersagt. Am selben Tag erhielt Viktar Paulaus Rechtsbeistand die Information, dass sich sein Mandant nicht mehr in der Haftanstalt befinde. Berichten zufolge wurde Viktar Paulau im Mai 2021 hingerichtet.

Laut Informationen des Menschenrechtszentrums Viasna wurde im Juli 2022 Viktar Skrundzik hingerichtet. Er war im März 2020 zum Tode verurteilt worden. Nachdem das Urteil im Juni 2020 zunächst nicht aufrechterhalten wurde, wurde Viktar Skrundzik im Januar 2021 erneut vom Regionalgericht Minsk zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde im Anschluss durch den Obersten Gerichtshof bestätigt.

In ihrem Bericht vom Mai 2021 äußerte sich die UN-Sonderberichterstatterin über die Menschenrechtslage in Belarus neben anderen Bemerkungen weiterhin besorgt über die Geheimhaltung von Hinrichtungen in Belarus. Sie hob hervor, dass die Behörden in Belarus weiterhin zum Tode Verurteilte hinrichten, ohne die Gefangenen oder ihre Familien vorher zu informieren. Außerdem teilten die Behörden den Familien den Ort der Beerdigung nach den Hinrichtungen nicht mit. Am 10. Oktober 2021, dem Europäischen Tag und Welttag gegen die Todesstrafe, forderten die Europäische Union und der Europarat in einer gemeinsamen Erklärung Belarus nachdrücklich auf, auf die Abschaffung der Todesstrafe hinzuarbeiten. Belarus erwägt, seine Bürgerinnen und Bürger in einem Referendum über die Abschaffung der Todesstrafe abstimmen lassen. Geplant ist, spätestens im Februar 2022 ein Verfassungsreferendum abzuhalten. In einem gesonderten Volksentscheid könne dann über die Abschaffung der Todesstrafe abgestimmt werden, schlug der Präsident des Verfassungsgerichts, Pjotr Miklaschewitsch Anfang Oktober 2021 vor. Er signalisierte, dass in der zuständigen Verfassungskommission keine Einigkeit über die Änderung des Verfassungsartikels zur Todesstrafe herrsche.

Ende 2022 drohte mit Viktar Serhil mindestens einem Mann die Hinrichtung.

Ausführlichere Informationen zur Todesstrafe in Weißrussland sowie aktuelle Petitionen und Briefentwürfe und zahlreiche weitere interessante Informationen finden Sie auf der Website der Koordinationsgruppe für Belarus https://Amnesty-belarus-ukraine.de; ein aktueller Bericht (Stand 20.05.2022) findet sich auch hier:https://amnesty-todesstrafe.de/wp-content/uploads/325/reader_todesstrafe-in-belarus.pdf

Alle anderen europäischen Staaten verzichten jederzeit und für alle Straftaten generell auf die Todesstrafe!

UND IM REST DER WELT?

Die von Amnesty International durchgeführten Untersuchungen zur weltweiten Anwendung der Todesstrafe im Jahr 2022 haben ergeben, dass die Zahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen global sprunghaft angestiegen ist, einschließlich einer deutlichen Zunahme von Exekutionen wegen Drogendelikten.

Diesem negativen Trend steht eine gegenläufige positive Tendenz gegenüber: Eine beträchtliche Anzahl von Ländern hat im Jahr 2022 entscheidende Schritte zur Einschränkung beziehungsweise Aufgabe der Todesstrafe unternommen, was einen bemerkenswerten Fortschritt auf dem Weg zur weltweiten Abschaffung der grausamsten, unmenschlichsten und erniedrigendsten Strafe darstellt. Die Zahl der bekannt gewordenen Hinrichtungen – ohne die Tausenden, die in China vermutet werden – stieg im Vergleich zu 2021 um 53 Prozent von 579 (2021) auf 883 (2022). Die im Jahr 2022 verzeichnete Zahl von Hinrichtungen war damit die höchste seit 2017 (993).

Wenngleich noch immer in 87 Staaten die Todesstrafe im Gesetz steht, so ist doch festzustellen, dass nur wenige davon tatsächlich jedes Jahr auch Todesurteile vollstrecken.

HINRICHTUNGEN WELTWEIT

Amnesty International sind 2022 weltweit mindestens 883 (2021: 579, 2020: 483, 2019: 657 in 20, 2018: 690) Hinrichtungen aus 20* Ländern (2012: 18) bekannt geworden.

Die Berichterstattung über Todesurteile und Hinrichtungen muss unvollständig bleiben. In vielen Ländern veröffentlichen die Regierungen gar keine Informationen über die Anwendung der Todesstrafe. In China und Vietnam sind die Daten über die Todesstrafe als Staatsgeheimnis eingestuft, während über einige andere Länder aufgrund restriktiver staatlicher Praktiken nur wenige Informationen verfügbar waren. Daher handelt es sich bei den Zahlenangaben von Amnesty International über die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe in einer beträchtlichen Anzahl von Ländern lediglich um Mindestwerte. Die tatsächlichen Gesamtzahlen liegen wahrscheinlich um ein Vielfaches höher.

Seit 2009 veröffentlicht Amnesty International keine Schätzwerte mehr zur Anwendung der Todesstrafe in CHINA. Diese Entscheidung spiegelt die Besorgnis darüber wider, wie die chinesischen Behörden die Zahlen von Amnesty falsch darstellten. Amnesty hat stets deutlich gemacht, dass die Zahlen, die die Organisation über China veröffentlichen konnte, aufgrund des beschränkten Zugangs zu Informationen deutlich unter den tatsächlichen Werten lagen. China selbst hat stets darauf verzichtet, Zahlen über die Todesstrafe zu veröffentlichen. Die verfügbaren Informationen deuten jedoch darauf hin, dass jedes Jahr Tausende von Menschen in China hingerichtet und zum Tode verurteilt werden. Amnesty International fordert die chinesischen Behörden erneut auf, Angaben über den Einsatz der Todesstrafe im Land zu publizieren.

* WELTWEIT REGISTRIERTE HINRICHTUNGEN IM JAHR 2022
Afghanistan (+), Ägypten (24), Bangladesch (4), Belarus (1), China (+), Irak (11+), Iran (576+), Japan (1), Jemen (4+), Kuwait (7), Myanmar (4), Nordkorea (+), Palästina (Staat) (5), Saudi Arabien (196), Singapur (11), Somalia (6+), Südsudan (5+), Syrien (+), USA (18), Vietnam (+).

„+“ heißt, dass Amnesty International zwar bekannt ist, dass Hinrichtungen stattgefunden haben, aber ungenügende Informationen vorliegen, um eine glaubwürdige Mindestanzahl zu nennen (so z.B. in Syrien, wo in den Jahren zuvor noch nicht einmal ein „dass“ bestätigt werden konnte)

China unberücksichtigt, fanden 90 % der weltweiten Hinrichtungen in nur drei Ländern statt: ÄGYPTEN (24), IRAN (mindestens 576) und SAUDI-ARABIEN (196). Das starke Ansteigen der Exekutionen in Iran war im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass im Vergleich zum Vorjahr vermehrt Todesurteile wegen Mordes und Drogendelikten verhängt und vollstreckt wurden: Die Zahl der registrierten Hinrichtungen wegen Mordes stieg um 75 Prozent von 159 im Jahr 2021 auf 279 im Jahr 2022 und die Zahl der Hinrichtungen wegen Drogendelikten legte sogar um 93 Prozent zu – von 132 im Jahr 2021 auf 255 im Jahr 2022. Die dokumentierten 196 Hinrichtungen in Saudi-Arabien stellen die höchste Jahresbilanz, die Amnesty International in diesem Land seit 30 Jahren verzeichnete, dar. Die Zunahme der registrierten Hinrichtungen wegen terroristischer Straftaten und die Wiederaufnahme von Exekutionen wegen Drogendelikten waren die hauptsächlichen Gründe für den signifikanten Anstieg der vollstreckten Todesurteile in Saudi-Arabien: Die Zahl bekannt gewordener Hinrichtungen wegen terroristischer Straftaten stieg von 9 im Jahr 2021 auf 85 im Jahr 2022, und im Zusammenhang mit Drogendelikten von 0 im Jahr 2021 auf 57 im Jahr 2022.

Nach mehrjährigen Unterbrechungen nahmen fünf Länder wieder Hinrichtungen auf: AFGHANISTAN (erstmals seit 2018), KUWAIT (erstmals seit 2017), MYANMAR (erstmals seit vier Jahrzehnten), PALÄSTINA (Staat) (erstmals seit 2017) und SINGAPUR (erstmals seit 2019). Im Unterschied dazu haben drei Länder  Botsuana, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate  die im Jahr 2021 noch Todesurteile vollstreckt hatten, dies im Jahr 2022 nicht getan. In Indien, Katar und Taiwan fanden im zweiten Jahr in Folge keine Exekutionen statt.

Unter den 883 Personen, von denen bekannt ist, dass sie im Jahr 2022 hingerichtet wurden, befanden sich auch 13 FRAUEN: zwölf wurden in Iran und eine wurde in Saudi-Arabien exekutiert.Im Vorjahr waren es 24 Frauen, und zwar in den folgenden Ländern: Ägypten (8), Iran (14), Saudi-Arabien (1) und USA (1).

In den Jahren 2020 bis 2022 sind nach Kenntnis von Amnesty International folgende HINRICHTUNGSMETHODEN bei der Vollstreckung der Todesstrafe zur Anwendung gekommen:

➢ Enthaupten (Saudi-Arabien)
➢ Elektrischer Stuhl (USA)
➢ Erhängen (Ägypten, Bangladesch, Botsuana, Indien, Irak, Iran, Japan, Myanmar; Singapur, Südsudan und Syrien)
➢ Giftinjektion (China, USA und Vietnam)
➢ Erschießen (Afghanistan, Belarus, China, Iran, Jemen, Katar, Kuwait Nordkorea, Oman, Palästina, Somalia und Taiwan).

Wie in den Vorjahren erhielt Amnesty International 2022 keine Berichte über gerichtlich angeordnete Hinrichtungen durch Steinigung.

TODESURTEILE WELTWEIT

Die Gesamtzahl der von Amnesty International erfassten, im Jahr 2022 ergangenen Todesurteile ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken. Es wurden mindestens 2.016 neue Todesurteile gefällt, 2021 war demgegenüber die Verhängung von Todesstrafen in mindestens 2.052 Fällen registriert worden. Jedoch stellt sich eine Bewertung dieser weltweiten Gesamtzahl im Vergleich zu den vorherigen Jahren – aufgrund von Unterschieden bezüglich der Art und Verfügbarkeit von Informationen über Todesurteile in einigen Ländern – als eine methodische Herausforderung dar. So erhielt Amnesty International keine Informationen über offizielle Zahlen zu verhängten Todesstrafen aus Nigeria und Sri Lanka und somit von Staaten, die in den Vorjahren jeweils eine hohe Anzahl an Todesurteilen gemeldet hatten. Andererseits stellten die thailändischen Behörden Amnesty International im Gegensatz zu den Vorjahren Zahlen zu neuen, erstinstanzlich erlassenen Todesurteilen zur Verfügung.

In 52 Ländern* erfolgten im Jahr 2022 bestätigte Verurteilungen zum Tode, damit waren es vier weniger als im Jahr 2021, als 56 Länder bekanntermaßen Todesurteile erlassen hatten. In fünf Ländern wurde erwiesenermaßen nach einer (anzunehmenden) Unterbrechung die Verhängung von Todesstrafen wieder aufgenommen: Bahrain, Komoren, Laos, Niger und Südkorea. Keine neuen Todesurteile wurden dagegen in Belarus, Japan, Kamerun, Malawi, Marokko/Westsahara, Oman, Sierra Leone, Simbabwe und Uganda verzeichnet  alles Länder, von denen bekannt ist, dass sie im Jahr 2021 Menschen zum Tode verurteilt hatten.

* WELTWEIT REGISTRIERTE TODESURTEILE IM JAHR 2022
Afghanistan (+), Ägypten (538), Algerien (54), Äthiopien (2+), Bahrain (2+), Bangladesch (169+), Botsuana (1), China (+), Demokratische Republik Kongo (76+), Gambia (9), Ghana (7), Guyana (4), Indien (165), Indonesien (112+), Irak (41+), Iran (+), Jemen (78+), Jordanien (4+), Katar (+), Kenia (79), Komoren (2), Kuwait (16+), Laos (5+), Libanon (2+), Libyen (18+), Malaysia (16+), Malediven (1), Mali (8+), Mauretanien (5+), Myanmar (37+), Niger (4+), Nigeria (77+), Nordkorea (+), Pakistan (127+), Palästina (Staat) (28), Sambia (2+), Saudi Arabien (12+), Singapur (5), Somalia (10+), Sri Lanka (8+), Sudan (1+), Südkorea (1), Südsudan (4+), Syrien (+), Taiwan (3), Tansania (11), Thailand (104), Trinidad und Tobago (5+), Tunesien (26+), USA (21), Vereinigte Arabische Emirate (2+), Vietnam (102+).

Amnesty International dokumentierte im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr einen signifikanten Anstieg der Zahl der neu verhängten Todesurteile in den folgenden Ländern: Ägypten (von 356+ auf 538), Algerien (von 9 auf 54), Indien (von 144 auf 165), Kenia (von 14 auf 79), Kuwait (von 5+ auf 16+), Nigeria (von 56+ auf 77+) und Tunesien (von 3+ auf 26+). Dagegen wurde ein deutlicher Rückgang der Zahl der Verurteilungen zum Tode in den folgenden Ländern registriert: Bangladesch (von 181+ auf 169+), Irak (von 91+ auf 41+), Jemen (von 298+ auf 78+), Libanon (von 12+ auf 2+), Malawi (von 11+ auf 0), Mali (von 48 auf 8+), Mauretanien (von 60 auf 5+), Myanmar (von 86+ auf 37+), Sierra Leone (von 23 auf 0), Somalia (von 27+ auf 10+) und Vietnam (von 119+ auf 102+).

Ende 2022 waren weltweit mindestens 28.282 Personen zum Tode verurteilt (2021: 28.670, 2020: 28.567; 2019: 26.604). Für mehrere Länder, in denen sich nach Einschätzung von Amnesty International eine hohe Anzahl von zum Tode verurteilten Personen in den Gefängnissen befindet, lagen keine Zahlen vor oder es war unmöglich, belastbare Angaben zu schätzen. Dazu gehörten Ägypten, China, Iran, Libyen, Nordkorea und Saudi-Arabien.

Amnesty International verzeichnete im Jahr 2022 Umwandlungen von Todesurteilen oder Begnadigungen in 26 Ländern: Afghanistan, Bangladesch, Barbados, China, Gambia, Ghana, Guyana, Indien, Indonesien, Irak, Kasachstan, Kuwait, Malaysia, Mauretanien, Marokko/Westsahara, Niger, Nigeria, Pakistan, Sambia, Singapur, Sri Lanka, Sudan, Taiwan, Thailand, USA und Vietnam. Zudem dokumentierte Amnesty International mindestens 28 Urteilsaufhebungen / nachträgliche Entlastungen von zum Tode verurteilten Personen in vier Ländern − Kenia (20), Marokko/Westsahara (1), Simbabwe (5) und USA (2).

Im Jahr 2021 dokumentierte Amnesty International Umwandlungen von Todesurteilen oder Begnadigungen in 33 Ländern: Afghanistan, Bangladesch, Barbados, Ghana, Guyana, Indien, Indonesien, Japan, Jemen, Kamerun, Kenia, Demokratische Republik Kongo, Kuwait, Lesotho, Malaysia, Marokko/West-Sahara, Myanmar, Niger, Nigeria, Oman, Pakistan, Sambia, Sierra Leone, Simbabwe, Singapur, Sri Lanka, Sudan, Südkorea, Syrien, Tansania, Thailand, Trinidad und Tobago und USA.

Bei Jahresende befanden sich weltweit mindestens 28.670 Personen im Todestrakt. 82 Prozent aller Verurteilten verteilten sich auf neun Länder: Irak (mind. 8.000), Pakistan (mind. 3.800), Nigeria (mind. 3.036) USA (2.382), Bangladesch (mind. 1.800), Malaysia (1.359), Vietnam (mind. 1.200), Algerien (mind. 1.000) und Sri Lanka (mind. 1.000). Zum Stichdatum 31. Dezember 2020 waren weltweit mindestens 28.567 zum Tode Verurteilte in Haft. Ende 2019 waren es mindestens 26.604 Menschen.

DIE ENTWICKLUNG IN DEN VERSCHIEDENEN REGIONEN UND KONTINENTEN:

AFRIKA (südlich der Sahara)

Die Anwendung der Todesstrafe ging in der Region zurück; die Zahl der Hinrichtungen sank um 67 Prozent und die Zahl der Todesurteile um 20 Prozent.In 16 Ländern wurden Todesurteile verhängt, was einem Rückgang um drei Länder im Vergleich zu 2021 entspricht.

Diese Erdregion umfasst 28 Staaten. Hinrichtungen gab es nur in zwei Ländern, die niedrigste Anzahl, die Amnesty International seit 2017 in der Region verzeichnet hat. In Botsuana, das im Jahr 2021 noch Todesurteile vollstreckt hatte, wurden keine Hinrichtungen bekannt. Auch in den beiden Staaten SOMALIA und SÜDSUDAN, die 2022 Gefangene exekutierten, gingen die registrierten Hinrichtungen im Vergleich zu 2021 stark zurück: in Somalia von 21 auf 6 und in Südsudan von 9 auf 5. Die Gesamtzahl der registrierten Hinrichtungen in Subsahara-Afrika lag bei mindestens elf (mindestens 33 im Jahr 2021).

Insgesamt wurden 2022 mindestens 298 neue Todesurteile in 16 Staaten gefällt. 2021 waren es noch 373 Todesurteile in 19 Staaten gewesen. Die meisten Todesstrafen verhängten die Staaten Kenia (79), Nigeria (77) und Demokratische Republik Kongo (76). Zudem war die Zahl der registrierten Todesurteile in Subsahara-Afrika gegenüber dem Vorjahr insgesamt rückläufig. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Hinrichtungszahlen in den folgenden Ländern deutlich gesunken sind: Botsuana (von 6 auf 1), Kamerun (von 4 auf 0), Demokratische Republik Kongo (von 81 auf 76), Malawi (von 11 auf 0), Mali (von 48 auf 8), Somalia (von 27 auf 10), Sierra Leone (von 23 auf 0), Südsudan (von 10 auf 4) und Sudan (von 7 auf 1). Allerdings musste Amnesty International in zwei Ländern im Jahr 2022 einen beträchtlichen Anstieg der registrierten Todesurteile im Vergleich zu 2021 feststellen: Kenia (von 14 auf 79) und Nigeria (von 56 auf 77).

Ende 2022 saßen in 22 Staaten Subsahara-Afrikas mindestens 6.168 Gefangene in der Todeszelle. Die größte Todestrakt-Population hat Nigeria (3.167), gefolgt von Kenia (656) und Tansania (491). Etliche Gefangene konnten 2022 der Todesstrafe entkommen: mindestens 240 Umwandlungen und mindestens 67 Begnadigungen sowie mindestens 27 Entlastungen erfolgten in mehreren Ländern der Region.

2017 schaffte GUINEA die Todesstrafe für alle Verbrechen ab und KENIA untersagte, Mord zwingend mit der Todesstrafe zu ahnden. BURKINA FASO schaffte 2018 die Todesstrafe in Friedenszeiten und somit für gewöhnliche Verbrechen ab. GAMBIA bewegte sich weiter auf ein Ende der Todesstrafe zu. Das Land erklärte ein offizielles Hinrichtungsmoratorium und trat dem Zweiten Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte bei, das zum Ziel hat, die Todesstrafe abzuschaffen.

Am 28. April 2020 stimmte die Nationalversammlung des TSCHAD einstimmig für die Abschaffung der Todesstrafe auch für terroristische Verbrechen. Nachdem der Tschad bereits am 8. Mai 2017 ein neues Strafgesetzbuch zur Aufhebung der Todesstrafe erlassen hatte, bei dem lediglich eine erhebliche Anzahl von Straftaten im Zusammenhang mit Terrorismus, in denen ausgenommen waren, ist die Todesstrafe damit dort 5 Jahre nach Durchführung der letzten Hinrichtung nunmehr endgültig abgeschafft. Und dies obwohl der Tschad ist eines der vier Länder der Region ist, in dem die islamistische Terrororganisation Boko Haram aktiv ist.

In SIERRA LEONE wurde am 21. April 2022 ein Gesetz offiziell verkündet, mit dem die Todesstrafe vollständig abgeschafft wurde. Die Parlamentsabstimmung hierzu hatte am 23. Juli 2021 stattgefunden. In Sierra Leone waren seit mehr als zehn Jahren keine Todesurteile mehr vollstreckt worden, allerdings stieg zuletzt die Zahl der zum Tode verurteilten Personen. So waren im Jahr 2020 noch über 39 Menschen Todesurteile verhängt worden (21 Todesurteile in 2019).

Am 27. Mai 2022 stimmte die Nationalversammlung der ZENTRALAFRIKANISCHEN REPUBLIK für einen Gesetzentwurf zur völligen Abschaffung der Todesstrafe. Einen Monat später, am 27. Juni 2022, unterzeichnete Präsident Faustin-Archange Touadéra das Gesetz.

Seit 1981 haben insgesamt 23 Staaten Subsahara-Afrikas die Todesstrafe restlos aus ihren Strafgesetzen gestrichen.

Am 19. September 2022 gab der Vizepräsident von ÄQUATORIALGUINEA, Teodoro Nguema Obiang Mangue, bekannt, dass das Land die Todesstrafe für gewöhnliche Verbrechen abgeschafft hat. Die Todesstrafe bleibt jedoch im Militärstrafgesetzbuch bestehen.

Am 23. Dezember 2022 verkündete das sambische Präsidialamt, dass Präsident Hakainde Hichilema dem Gesetzentwurf Nr. 25 zur Änderung des Strafgesetzbuchs zugestimmt hat, der die Todesstrafe in SAMBIA für gewöhnliche Verbrechen abschafft. An die Stelle der Todesstrafe tritt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Die Todesstrafe kann jedoch weiterhin für Straftaten nach Militärrecht verhängt werden.

Neben Sambia kündigte auch LIBERIA beim Weltkongress gegen die Todesstrafe im November 2022 die baldige Abschaffung der Strafe an.

In GHANA wurden ebenfalls rechtliche Prozesse zur Abschaffung der Todesstrafe eingeleitet.

AMERIKA

Diese Erdregion umfasst 19 Staaten. Die Zahl der von Amnesty International registrierten Hinrichtungen in der Region Amerika (Nord- und Südamerika) stieg um 64 Prozent, von 11 im Jahr 2021 auf 18 im Jahr 2022. Das 14. Jahr in Folge waren die USA im Jahr 2021 das einzige Land der Region, in dem Todesurteile vollstreckt wurden. Im Jahr 2022 ließen die Auswirkungen der Beschränkungen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie nach. Demzufolge stieg auch die Zahl der Hinrichtungen in den USA wieder an. Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf den in den letzten Jahrzehnten zu verzeichnenden Abwärtstrend, was die Zahl der jährlich vollstreckten Todesstrafen in den USA anbetrifft. Die Hinrichtungszahl des Jahres 2022 ist die niedrigste seit 1991, wenn man von den Jahren 2020 und 2021 mit pandemiebedingten Einschränkungen absieht. Alle Hinrichtungen wurden durch die Giftspritze vollzogen. Insgesamt haben sechs US-Bundesstaaten im Jahr 2022 Menschen hingerichtet: Alabama, Arizona, Mississippi, Missouri, Oklahoma und Texas. 2021 wurden 11 Menschen in 6 Bundesstaaten hingerichtet, 2020 waren es noch 17 und 2019 22.

Nach 17 Jahren ohne Hinrichtungen auf US-Bundesebene nahm die Trump-Regierung diese im Juli 2020 wieder auf. Innerhalb von fünfeinhalb Monaten wurden 2020 zehn Männer exekutiert, gegen die nach Bundesrecht die Todesstrafe ergangen war. Drei weitere noch in den ersten Januartagen 2021 bis 4 Tage vor der Amtseinführung von Joe Biden. Am 01. Juli 2021 verkündete der neue Justizminister Garland ein Hinrichtungsmoratorium auf Bundesebene und eine Überprüfung der Todesstrafe.

Der US-Bundesstaat VIRGINIA schaffte 2021 als 23. Staat (und als erster Südstaat) die Todesstrafe ab.

==> Mehr zu den USA im nachfolgenden Sonderkapitel.

Insgesamt 30 neue Todesurteile wurden 2022 in der Region Amerika (Nord- und Südamerika) – in drei Staaten – gefällt (2021: 25 Todesurteile in drei Staaten). Die Zahl der von US-Gerichten neu verhängten Todesurteile stieg im Vergleich zu den Vorjahren leicht an, von 18 in den Jahren 2020 und 2021 auf 21 im Jahr 2022, blieb aber die zweitniedrigste Zahl seit der Wiederaufnahme von Hinrichtungen im Jahr 1972.

Außerhalb der USA gingen die Fortschritte auf dem Weg zur Abschaffung der Todesstrafe weiter. Barbados strich 2019 die zwingende Todesstrafe aus seiner Verfassung, während Antigua und Barbuda, Bahamas, Belize, Dominica, Guatemala, Jamaika, Kuba, St. Kitts und Nevis und St. Lucia leere Todeszellen meldeten und auch seit mehreren Jahren keine neuen Todesurteile mehr fällen. Bei zwei weiteren (Grenada und St. Vincent und die Grenadinen) befand sich am Jahresende nur eine einzige zum Tode verurteilte Person in Haft.

Ende 2022 befanden sich 2.343 Gefangene in den Todestrakten von sechs Staaten (Barbados, Grenada, Guyana, St. Vincent und die Grenadinen, Trinidad und Tobago, USA). Die größte Todestrakt-Population haben mit weiten Abstand die USA (2.276). In den USA sind aktuell auch 48 Frauen zum Tode verurteilt.

ASIEN UND DIE PAZIFISCHE REGION

Diese Erdregion setzt sich aus 21 Staaten zusammen. Es fanden – soweit bekannt – im Jahr 2022 in acht Ländern mindestens 28 Hinrichtungen statt (2021: 14 Hinrichtungen in fünf Ländern). Die Staaten, die 2022 Gefangene exekutierten, waren: Afghanistan, Bangladesch, China, Japan, Myanmar, Nordkorea, Singapur und Vietnam (2021: Bangladesch, China, Japan, Nordkorea und Vietnam). Positiv anzumerken ist, dass Indien und Taiwan das zweite Jahr in Folge eine Hinrichtungspause eingelegt haben. Da die Länder China, Nordkorea und Vietnam ihre Hinrichtungszahlen geheim halten, konnte das tatsächliche Ausmaß staatlicher Tötungen in dieser Region nicht annähernd ermittelt werden. Die Gesamtzahl an Hinrichtungen in der Region Asien-Pazifik dürfte unverändert in die Tausende gehen, und China der weltweit führende Henkerstaat geblieben sein.
==> Zur Todesstrafe in China siehe auch das nachfolgende Sonderkapitel!

Die Militärbehörden in MYANMAR führten die ersten Hinrichtungen seit vier Jahrzehnten durch (Die letzte Hinrichtung in Myanmar wurde zuvor im Jahr 1988 bekannt.), wobei vier Menschen, darunter zwei hochrangige Oppositionspolitiker, nach grob unfairen und geheimen Verfahren willkürlich hingerichtet wurden. Die Todesstrafe wurde seit 2021 in Myanmar zu einem Werkzeug des Militärs bei der anhaltenden und weit verbreiteten Verfolgung, Einschüchterung und Schikanierung von und Gewalt gegen Demonstranten und Journalisten. Vor Februar 2021 wurden die bekannten Todesurteile sporadisch wegen Mordes verhängt und in der Regel durch Massenbegnadigungen umgewandelt. Die Zahl von mindestens 86 Todesurteilen im Jahr 2021 stellt jedoch einen drastischen Anstieg gegenüber dem Jahresdurchschnitt der Jahre 2017-2020 dar, der unter 10 geblieben war.

AFGHANISTAN und SINGAPUR nahmen nach mehrjährigen Unterbrechungen 2022 wieder Hinrichtungen auf.

Insgesamt mindestens 861 neue Todesurteile wurden 2022 in 17 Staaten der Region registriert (2021: mindestens 819 in 16 Staaten, 2020: mindestens 517). Die Zahl der neuen Todesurteile stieg gegenüber 2021 somit um fünf Prozent an. Die tatsächliche Zahl dürfte jedoch deutlich höher liegen, da Länder wie Afghanistan, China und Nordkorea keine Angaben über verhängte Todesstrafen machten. Amnesty International geht davon aus, dass die Zahl der verhängten Todesurteile in China im Laufe des Jahres in die Tausende ging. Die Organisation hält es zudem für sehr wahrscheinlich, dass in Nordkorea regelmäßig Todesurteile ausgesprochen wurden, auch nach Schnellverfahren. Berichte aus Laos und Vietnam deuten darauf hin, dass diese Länder in großem Umfang auf die Todesstrafe zurückgreifen.

Ein deutlicher Anstieg der Todesurteile gegenüber dem Vorjahr war in INDIEN zu verzeichnen (von 144 auf 165). Die 165 bekannten Todesurteile markieren die höchste Jahresbilanz seit dem Jahr 2000. Die Zahl der registrierten Todesurteile in Pakistan (mindestens 127) blieb auf gleichem Niveau wie im Jahr 2021 (mindestens 129). Auch in Indonesien blieb die Zahl der Todesurteile hoch (mindestens 114 im Jahr 2021 und mindestens 112 im Jahr 2022). Die Zahl der neu verhängten Todesurteile in Singapur hat sich im Vergleich zu 2021 halbiert (von 10 auf 5). In Myanmar sank die Zahl der Todesurteile gegenüber dem Vorjahr (von mindestens 86 auf mindestens 37). Gerichte in Laos und Südkorea haben  im Unterschied zu 2021  im Jahr 2022 wieder Todesurteile verhängt. In Japan wurden 2022 keine neuen Todesurteile erlassen, während 2021 drei Personen zum Tode durch den Strang verurteilt wurden.

Die Regierung der PHILIPPINEN unter Präsident Duterte versucht seit 2019 die Todesstrafe für „abscheuliche Verbrechen im Zusammenhang mit illegalen Drogen und Plünderungen“ wiedereinzuführen. Die Gefahr der Wiedereinführung der Todesstrafe auf den Philippinen ist allerdings inzwischen kleiner geworden, weil im Jahr 2021 drei Senatoren und Senatorinnen, die die Todesstrafe ursprünglich befürworteten verkündeten, nunmehr jegliche Schritte in diese Richtung abzulehnen.

Die Anwendung der Todesstrafe in der Region Asien-Pazifik verstößt häufig gegen das Völkerrecht und internationale Standards. Die Todesstrafe wurde in erheblichem Maße für Straftaten eingesetzt, die nicht zu den „schwersten Verbrechen“ gehören, auf die diese Strafe laut Völkerrecht beschränkt sein muss. Zu den hier bestraften Vergehen zählten Wirtschaftsverbrechen, zum Beispiel Korruption, Delikte im Zusammenhang mit Drogen oder Taten, die nach internationalem Recht nicht einmal als Verbrechen gelten, beispielsweise „Blasphemie“. Zur Tatzeit 18jährige blieben auf den Malediven und in Pakistan weiterhin zum Tode verurteilt. In vielen von Amnesty International registrierten Fällen wurden Todesurteile von Sondergerichten verhängt oder von Militärgerichte gegen Zivilisten.

Das Parlament von PAPUA-NEUGUINEA nahm am 20. Januar 2022 einen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs an, mit dem die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft wurde. Das Gesetz trat am 12. April 2022 in Kraft.

Der Innenminister der MALEDIVEN bestätigte im Juni 2022 vor dem Parlament, dass die Regierung an dem Moratorium für die Vollstreckung der Todesstrafe festhalten werde.

Der Präsident von SRI LANKA bekräftigte, dass er keine Hinrichtungsbefehle genehmigen werde.

Die Behörden MALAYSIAs unternahmen Schritte zur Reform der zwingenden Todesstrafe.

Das Parlament INDONESIENs verabschiedete ein neues Strafgesetzbuch, das  sobald es 2026 in Kraft tritt  die Umwandlung von Todesurteilen nach 10 Jahren Haft ermöglicht, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind.

EUROPA UND ZENTRALASIEN

==> Zu Europa und insbesondere der Todesstrafe in Belarus siehe auch das vorstehende Sonderkapitel!

TADSCHIKISTAN hielt sich weiterhin an das offizielle Hinrichtungsmoratorium.

Zum Jahreswechsel 2021 hat KASACHSTAN die Todesstrafe für alle Verbrechen abgeschafft, nachdem sie 2017 bereits für alle Verbrechen außer Terrorismus abgeschafft worden war und die letzten Jahre bereits ein Hinrichtungsmoratorium in Kraft war. Zudem hat es mit dem Zweiten Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen einen wichtigen Vertrag über die Abschaffung der Todesstrafe ratifiziert. Im Juni wurden Verfassungsänderungen rechtsverbindlich, durch welche die Abschaffung der Todesstrafe in der Verfassung verankert wurde.

Soweit es bekannt ist, ergingen 2022 in der Region keine neuen Todesurteile.

NAHER OSTEN UND NORDAFRIKA

Diese Erdregion umfasst 19 Staaten. Die Zahl der von Amnesty International registrierten Hinrichtungen in der Region Naher Osten und Nordafrika stieg deutlich um 59 Prozent, von 520 im Jahr 2021 auf 825 im Jahr 2022. Amnesty International verzeichnete – wie in den Vorjahren – Hinrichtungen in acht Ländern der Region  Ägypten, Irak, Iran, Jemen, Kuwait, Palästina (Staat), Saudi-Arabien und Syrien. In Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die 2021 noch Hinrichtungen vollzogen hatten, wurden 2022 keine Exekutionen registriert. In Kuwait und dem Staat Palästina wurden zum ersten Mal seit 2017 wieder Hinrichtungen durchgeführt. Im Vergleich zu 2021 sind die registrierten Hinrichtungen in den folgenden Ländern zurückgegangen: Ägypten (83 auf 24), Irak (17 auf 11) und Jemen (14 auf 4). Die mindestens 825 Hinrichtungen, die im Jahr 2022 in der Region stattfanden, stellten die höchste Zahl dar, die Amnesty International seit 2017 verzeichnet hat. Iran und Saudi-Arabien waren hauptverantwortlich für den deutlichen Anstieg der registrierten Hinrichtungen im Jahr 2022.

Amnesty International verzeichnete 2022 576 Exekutionen in IRAN, was einen Anstieg von 83 Prozent im Vergleich zu 2021 bedeutet, als 314 Hinrichtungen dokumentiert wurden. Insbesondere die Hinrichtungen wegen Mordes (um 75 Prozent) und Drogendelikten (um 93 Prozent) nahmen gegenüber dem Vorjahr drastisch zu. Und es erscheint sehr wahrscheinlich, dass die Zahl der Hinrichtungen 2023 noch einmal erheblich höher liegen wird: So wurden nach neuesten Zahlen von Amnesty International allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres insgesamt mindestens 282 Menschen hingerichtet, fast doppelt so viele wie im gleichen Zeitraum 2022. Im Durchschnitt sind allein im Mai drei Menschen pro Tag gehenkt worden. Im Laufe des Jahres haben die iranischen Behörden fünf Personen hingerichtet, die zum Zeitpunkt der Straftat, für die sie verurteilt worden waren, noch keine 18 Jahre alt waren. Iran setzte die Todesstrafe zudem weiterhin beziehungsweise zunehmend als Mittel der politischen Unterdrückung ein und richtete in unverhältnismäßig hohem Maße Angehörige ethnischer Minderheiten hin. Die iranischen Behörden haben allein in den ersten zwei Monaten des Jahres 2023 mindestens einen Ahwazi-Araber, 14 Kurden und 13 Belutschen nach grob unfairen Verfahren hingerichtet und mindestens ein Dutzend weiterer Personen aus ethnischen Minderheiten zum Tode verurteilt. Dies stellt eine erschreckende Eskalation bei der Anwendung der Todesstrafe als Repressionsinstrument gegen ethnische Minderheiten dar. Mindestens sieben Protestierende wurden seit Dezember 2022 bereits hingerichtet, nur weil sie von ihrem Recht auf friedlichen Protest Gebrauch gemacht haben.

Die saudi-arabische Menschenrechtskommission teilte mit, dass in SAUDI-ARABIEN im Jahr 2022 196 Menschen hingerichtet wurden. Das ist eine Verdreifachung gegenüber den 65 Hinrichtungen des Jahres 2021 und die höchste Zahl, die Amnesty International seit 30 Jahren in dem Land verzeichnet hat. Von den 196 exekutierten Personen wurden laut der saudischen Menschenrechtskommission 85 wegen terroristischer Straftaten und 57 wegen Drogendelikten verurteilt. Die Vollstreckung der Todesstrafe an den 57 Personen wegen Drogenvergehen markiert dabei ein Ende des Hinrichtungsmoratoriums für diesen Deliktsbereich, das nach Angaben der Kommission seit 2020 bestanden hatte. In Saudi-Arabien hat im zweiten Jahr in Folge die Zahl der Hinrichtungen in alarmierendem Maße zugenommen. An einem einzigen Tag im März vollstreckten die saudischen Behörden bei einer Massenhinrichtung Todesurteile an 81 Menschen. Die Tatsache, dass die offizielle Nachrichtenagentur der saudi-arabischen Regierung eine sehr viel geringere Hinrichtungszahl gemeldet hat als die Menschenrechtskommission, gibt Anlass zu ernsten Bedenken hinsichtlich der Transparenz Saudi-Arabiens bei der Anwendung der Todesstrafe.

Die Zahl der registrierten Todesurteile sank leicht von 834 im Jahr 2021 auf 827 im Jahr 2022 (2020: 632, 2019: 707, 2018:1.170).`Amnesty International verzeichnete die Verhängung von Todesurteilen in allen Ländern der Region mit Ausnahme von Israel, Marokko/Westsahara und Oman. Insgesamt fällten 16 Länder Todesurteile (gegenüber 17 im Jahr 2021). Von den 827 registrierten Todesurteilen des Jahres 2022 entfielen 538 (65 Prozent) auf Ägypten. Viele der Todesurteile wurden in dem Land nach grob unfairen Prozessen verhängt, unter anderem von Notstandsgerichten. Im Vergleich zu 2021 wurde ein Anstieg der Todesurteile in Algerien (von 9 auf 54), Bahrain (von 0 auf 2), Kuwait (von 5 auf 16), Palästina (Staat) (von 21 auf 28), Saudi-Arabien (von 8 auf 12) und Tunesien (von 3 auf 26) verzeichnet. Im Gegensatz dazu ging in einigen Ländern der Region die Zahl der Todesurteile deutlich zurück, und zwar in Irak (von 91 auf 41), in Jemen (von 298 auf 78), in Jordanien (von 11 auf 4) und in Libanon (von 12 auf 2). Amnesty International konnte ermitteln, dass auch in Iran Todesurteile verhängt wurden, verfügt jedoch nicht über ausreichende Informationen, um eine glaubwürdige Mindestzahl zu nennen.

In der Region wurden mindestens 20 Todesurteile umgewandelt und mindestens sieben Begnadigungen ausgesprochen.

In 18 Staaten der Region Naher Osten und Nordafrika (einzige Ausnahme: Israel) waren zum Jahresende 2022 Gefangene im Todestrakt inhaftiert, in Summe mindestens 8.767 zum Tode Verurteilte. Die mit weitem Abstand größte Todestrakt-Population hat Irak mit mindestens 7.900 Inhaftierten.

DIE ANWENDUNG DER TODESSTRAFE IN DEN JAHREN 2019 bis 2022 UNTER VERLETZUNG DES VÖLKERRECHTS:

Die Todesstrafe wurde weiterhin in einer Weise eingesetzt, die gegen das Völkerrecht und internationale Normen verstieß. Nachfolgend sind einige Beispiele aufgeführt.

ÖFFENTLICHE HINRICHTUNGEN
In Iran wurden 2019 mindestens 13 und 2020 mindestens 1 öffentliche Hinrichtung verzeichnet. Im Jahr 2021 mindestens 9 im Jemen und wenigstens drei öffentliche Hinrichtungen erfolgten 2022 in Afghanistan (1+) und Iran (2).

TODESURTEILE UND HINRICHTUNGEN GEGEN JUGENDLICHE (ZUR TATZEIT UNTER 18-JÄHRIGE)
Im Jahr 2020 wurden mindestens drei jugendliche Straftäterinnen und Straftäter in Iran für Verbrechen hingerichtet, die sie als Minderjährige (im Alter von unter 18 Jahren) begangen hatten. Im Jahr 2019 waren es noch mindestens sechs Personen – vier in Iran, eine in Saudi-Arabien und eine in Südsudan. Vier weitere Menschen wurden im Jahr 2021 für Straftaten hingerichtet, die sie als unter 18-Jährige begangen hatten: Iran (3) und Jemen (1). In Iran, Myanmar und auf den Malediven saßen Berichten zufolge weitere Personen wegen Straftaten in der Todeszelle, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen hatten. An mindestens fünf Personen wurde 2022 im Iran die Todesstrafe für Verbrechen vollstreckt, die diese begangen haben sollen, als sie noch keine 18 Jahre alt waren. Amnesty International geht davon aus, dass sich weitere zur Tatzeit Minderjährige im Todestrakt auf den Malediven, in Iran und in Saudi-Arabien befinden. (Mehr zu diesem Thema nachfolgend in einem Extrakapitel)

TODESURTEILE GEGEN GEISTIG BEHINDERTE UND PSYCHISCH KRANKE
Das rechtsstaatliche Prinzip, mental behinderte und psychisch kranke Personen weder zum Tode zu verurteilen noch hinzurichten, wird inzwischen in den allermeisten Staaten dieser Erde akzeptiert. Die vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen verabschiedeten Garantien zum Schutz von Personen, denen die Todesstrafe droht, bestimmen, dass Todesurteile nicht gegen Personen verhängt werden dürfen, die geistig behindert oder geisteskrank sind. In einer Reihe von Ländern sind Hinrichtungen von Personen, die an geistigen Störungen leiden, zwar durch nationale Gesetze verboten, dennoch werden sie in Einzelfällen ausgeführt. Es gibt starke Hinweise darauf, dass in Todesstrafenprozessen der Darstellung, eine geistige Behinderung oder Erkrankung liege vor, nicht nachgegangen wurde oder dass medizinische Untersuchungen fehlerbehaftet waren. Menschen mit mentalen oder intellektuellen Behinderungen saßen 2020 und 2021 in mehreren Ländern im Todestrakt ein, unter anderem in Japan, Malediven, Pakistan, Singapur und den USA. Auch im Jahr 2022 wurden in mehreren Ländern, darunter Iran, Japan, Malediven und USA, Menschen mit geistigen oder intellektuellen Behinderungen zum Tode verurteilt.

UNFAIRE GERICHTSVERFAHREN
Amnesty International blickt mit Sorge darauf, dass in einigen Ländern, die Menschen zum Tode verurteilen oder hinrichten, die Todesstrafe nach Prozessen verhängt wird, die nicht den internationalen Rechtsstandards für ein faires Gerichtsverfahren entsprechen. In den vergangenen vier Jahren z. B. in Ägypten, Afghanistan, Algerien, Bahrain, Bangladesch, Belarus, China, Irak, Iran, Jemen, Kamerun, Malaysia, Myanmar, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, Singapur, Singapur und Vietnam.

In einigen Fällen basierten Urteile sogar auf „Geständnissen“, die durch Folter oder Misshandlung erpresst Worden sein könnten – so in Ägypten, Bahrain, Iran, dem Jemen und Saudi-Arabien.

In Ägypten, Algerien, Bangladesch, der Demokratischen Republik Kongo, dem Jemen, Jordanien, dem Libanon, Mali, Myanmar, und Palästina wurden Todesurteile in Strafprozessen gefällt, ohne dass der oder die Angeklagte anwesend war (in absentia).

OBLIGATORISCHE TODESSTRAFE
Zwingend vorgeschriebene Todesurteile wurden 2022 in Afghanistan, Ghana, Iran, Malaysia, Myanmar, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, Singapur und Trinidad & Tobago verhängt.(2021: Ghana, Iran, Kamerun, Malaysia, Nigeria, Pakistan, Sierra Leone, Singapur, Sambia und Trinidad & Tobago; 2020: Ghana, Iran, Malaysia, Myanmar, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, Sierra Leone, Singapur und Trinidad und Tobago; 2019: Ghana, Iran, Malaysia, Myanmar, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien und Singapur). Die obligatorische Todesstrafe ist mit Menschenrechtsprinzipien unvereinbar, weil sie weder die Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände des Angeklagten noch die Umstände des jeweiligen Verbrechens zulässt (Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, Pagdayawon Rolando v Philippines).

MILITÄR- UND SONDERGERICHTE
Militärgerichte verurteilten in den Jahren 2019-2022 Zivilpersonen in Ägypten, der Demokratischen Republik Kongo, dem Jemen, Kamerun, Libyen, Myanmar und Pakistan zum Tode. Sondergerichte verhängten Todesurteile in Ägypten, Bangladesch, Indien, Iran, Jemen, Jordanien, Pakistan, Palästina und Saudi-Arabien.

TODESSTRAFE NUR FÜR „SCHWERSTE VERBRECHEN“
Nach Artikel 6 Absatz 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR), darf die Todesstrafe in Ländern, die die Todesstrafe noch beibehalten, nur für „schwerste Verbrechen” verhängt werden. Der UN-Menschenrechtsausschuss, das Gremium, welches für die Auslegung des Paktes zuständig ist, versteht darunter nur Verbrechen von „äußerster Schwere“, die eine vorsätzliche Tötung beinhalten. Entsprechend wurde wiederholt betont, dass Drogendelikte nicht darunter fallen. Zudem wurde hervorgehoben, dass die Todesstrafe niemals in Bezug auf Verhaltensweisen verhängt werden darf, deren Kriminalisierung allein gegen den Pakt verstößt, wozu (u. a.) „Ehebruch“, „Apostasie“, die „Beleidigung eines Staatsoberhauptes“ oder „Homosexualität“ gezählt werden.

Straftatbestände, die – neben vorsätzlichen Tötungsdelikten – in den Jahren 2019 bis 2022 die Todesstrafe nach sich zogen:
– Drogendelikte: Hinrichtungen wegen Drogendelikten wurden 2022 in China (+), Iran (255), Saudi-Arabien (57) und Singapur (11) registriert. Diese Zahl fällt damit mehr als doppelt so hoch aus wie die 134 Hinrichtungen, die im Jahr 2021 für diesen Deliktsbereich verzeichnet wurden, und entspricht 37 Prozent der bekanntgewordenen weltweiten Hinrichtungen des Jahres 2022. Informationen bezüglich Vietnam, wo sehr wahrscheinlich ebenfalls Todesurteile im Zusammenhang mit Drogendelikten vollstreckt wurden, waren nicht verfügbar.
2022 sind 213 neue Todesurteile für Drogendelikte bekannt geworden, welche in 9 Ländern gefällt wurden: Ägypten (1), Bangladesch (6), China (+), Indonesien (105), Laos (5), Malaysia (8), Pakistan (1), Singapur (5) und Vietnam (80). In Thailand waren von den insgesamt 195 zum Tode verurteilten Personen (Stand Ende 2022) 121 wegen Betäubungsmittelstraftaten schuldig gesprochen worden, darunter befanden sich 14 Frauen.
– Wirtschaftsverbrechen wie Korruption: China, Vietnam.
– Blasphemie“ oder „Beleidigung des Propheten des Islams“: Nigeria, Pakistan (Das pakistanische Strafgesetzbuch listet 27 verschiedene Straftaten auf, die mit der Todesstrafe bedroht sind. Dazu gehören Blasphemie, Vergewaltigung, außerehelicher Geschlechtsverkehr, Übergriffe auf die Bescheidenheit von Frauen und Drogenschmuggel).
– „Korruption auf Erden“: Iran. … so z.B. im September 2022 bei Todesurteilen gegen zwei lesbische Aktivistinnen. Und auch die jüngsten Todesurteile gegen Demonstrierende im Zusammenhang mit den aktuellen Protesten im Iran wurden wegen „Korruption auf Erden“ gefällt.
– Apostasie: Libyen.
– Entführung Iran und Saudi-Arabien
– Vergewaltigung Ägypten, Bangladesh, Indien, Iran, Pakistan, Sudan und Saudi- Arabien
– „Verrat“, „Handlungen gegen die nationale Sicherheit“; „Kollaboration“ mit einer ausländischen Macht, „Spionage“, „Hinterfragen der Politik der Führung“, Teilnahme an einer „aufständischen Bewegung und Terrorismus“ und andere „Verbrechen gegen den Staat“ − unabhängig davon, ob sie Menschenleben gefordert hatten oder nicht − in folgenden Ländern: Iran, Jemen, Pakistan und Saudi-Arabien.
– „Feindschaft zu Gott“ im Iran, dem Jemen und Saudi-Arabien. Im Iran derzeit gerade auch im Zusammenhang mit den aktuellen Protesten seit dem Tod von Jina Mahsa Amini.
– Im Iran wurde am 08.07.2020 ein Mann hingerichtet alleine weil er mehrmals wegen des Trinkens von Alkohol verurteilt worden war. Nach iranischem Strafgesetzbuch wird der Konsum alkoholischer Getränke mit 80 Peitschenhieben bestraft. Wenn eine Person wegen dieses Delikts dreimal bestraft wurde, lautet das Urteil beim nächsten Mal Tod durch den Strang.

AUSWEITUNG DER TODESSTRAFE
Einige Staaten erweiterten in den letzten Jahren den Anwendungsbereich der Todesstrafe, indem sie Gesetze verabschiedeten, die neue Straftatbestände unter Todesstrafe stellen:

2019 z.B. Indien, Thailand und Nigeria (Katsina und Taraba).

Bangladesch nahm im Oktober 2020 ein neues Gesetz an, das Vergewaltigung unter Todesstrafe stellte.

In NIGERIA verabschiedeten 2021 drei Bundesstaaten – Jigawa, Taraba und Niger – neue Gesetze, die die Todesstrafe für verschiedene Straftaten vorsehen, die keine vorsätzliche Tötung beinhalten. Im Februar verabschiedete der Bundesstaat Jigawa ein Gesetz, das die Todesstrafe für Personen vorsieht, die wegen Vergewaltigung verurteilt wurden und ihre Opfer mit HIV infiziert haben, und das Parlament des Bundesstaates Taraba verabschiedete ein Gesetz, das die Todesstrafe für jeden vorsieht, der “Geschlechtsverkehr mit einem Minderjährigen” hat, es sei denn, die verurteilte Person ist jünger als 14 Jahre. Im Juli verabschiedete der Bundesstaat Niger ein Gesetz, das die Todesstrafe und öffentliche Hinrichtungen für jede Person vorsieht, die Informationen zur Unterstützung, Anstiftung oder Beihilfe zu Entführung und Viehdiebstahl leistet. Entführungen und Viehdiebstähle selbst werden im Bundesstaat Niger und in mehreren anderen nigerianischen Bundesstaaten ohnehin bereits mit der Todesstrafe geahndet.

Den Menschen im IRAK soll künftig jeder Kontakt zu Israelis verboten werden. Das irakische Parlament hat am 26.05.2022 ein entsprechendes Gesetz beschlossen. Selbst ein Chat mit israelischen Freunden oder Verwandten kann für Menschen im Irak kann laut dem Gesetz künftig mit der Todesstrafe enden.Alle anwesenden Abgeordneten stimmten dem Gesetzesentwurf gegen eine “Normalisierung” der Beziehungen mit Israel zu, wie die Staatsagentur INA berichtete. Jegliche Verbindungen zu dem Land und seinen Menschen sind demnach verboten und können mit lebenslanger Haft oder gar dem Tod bestraft werden. Das Gesetz gilt nicht nur für Iraker im In- und Ausland. Auch ausländische Institutionen, Firmen und Privatpersonen, die im Irak tätig sind, können für jeglichen Kontakt zu Israelis bestraft werden.

Das Parlament von UGANDA verabschiedete am 21. März 2023 ein drastisches Anti-LGBTQ-Gesetz, welches die Rechte der queeren Community in dem ostafrikanischen Land massiv beschneiden soll. Für manche der im Gesetz neu aufgenommenen Tatbestände droht sogar die Todesstrafe. Das Gesetz, das die bereits jetzt schon schwierige Situation der LGBTQIA+ Community noch weiter verschlechtert, fand eine deutliche parlamentarische Mehrheit von 387 zu 2 Stimmen. Uganda kennt die Todesstrafe heutzutage noch für 28 Delikte, die höchste Zahl in einem Staat in Ostafrika. Sie ist nicht auf Kapitaldelikte beschränkt, sondern kann auch für weniger gravierende Straftaten verhängt werden.

Zur Ausweitung der Todesstrafe in Belarus 2022/23 siehe obiges Kapitel …

Amnesty International fordert alle Staaten, die noch hinrichten, auf, sich den Resolutionen der UN-Generalversammlung vom Dezember 2007, 2008, 2010, 2012, 2014, 2016, 2018, 2020 und 2022 anzuschließen.

HINRICHTUNG MINDERJÄHRIGER STRAFTÄTER

Die Anwendung der Todesstrafe bei Verbrechen, die von Personen begangen wurden, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, ist nach dem Völkerrecht verboten, aber einige Staaten richten immer noch minderjährige Straftäter hin oder verurteilen sie zumindest zum Tode. Als ein Schritt in Richtung völlige und weltweite Abschaffung der Todesstrafe hat Amnesty International immer wieder Aktionen durchgeführt, die die Beendigung einer der abscheulichsten Erscheinungsformen der Todesstrafe forderten – ihre Verhängung gegen minderjährige Straftäter. Die Hinrichtungen von jugendlichen Straffälligen sind zwar nur ein kleiner Teil der weltweit durchgeführten Exekutionen, aber sie stellen eine Missachtung eingegangener internationaler Verpflichtungen durch die Staaten dar, die diese Hinrichtungen durchführen, und sie sind ein Affront gegen alle Vorstellungen von Moral und Anstand was den Schutz von Jugendlichen anbetrifft, die eine der verletzlichsten Gruppen der Gesellschaft sind.

Die Regierungen haben in wachsendem Maße ihren Respekt vor dem Verbot, minderjährige Straftäter hinzurichten, gezeigt, indem sie einschlägige internationale Abkommen ratifiziert haben und ihre nationalen Gesetze so änderten, dass dieses Verbot beachtet wurde. Von der sich ständig verringernden Zahl der Staaten, die die Todesstrafe beibehalten, haben sich fast alle dazu verpflichtet, sie nicht gegen Jugendliche anzuwenden, was die Überzeugung widerspiegelt, dass das Leben von minderjährigen Straftätern – wegen der Unreife, Impulsivität, Verletzlichkeit und der Besserungsmöglichkeiten junger Menschen – niemals einfach abgeschrieben werden sollte.

Die große Mehrheit der Staaten, die noch an der Todesstrafe festhalten, richtet keine Minderjährigen mehr hin, aber in einigen Ländern sind Jugendliche noch immer nicht vollständig vor der Todesstrafe sicher.

Seit 1990 hat Amnesty International insgesamt 157 Hinrichtungen (Stand Dezember 2021) von minderjährigen Straftätern in zehn Staaten registriert – 19 davon in den USA (die letzte im Jahr 2003, am 01.03.2005 erklärte der US Supreme Court diese Praxis für verfassungswidrig) und 107 in Iran und insgesamt weitere 31 in China, dem Jemen, der DR Kongo, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, dem Sudan und dem Südsudan. Aber selbst in den USA waren solche Hinrichtungen nicht weit verbreitet: 19 der 38 US-Bundesstaaten, in deren Gesetzen es 2005 noch die Todesstrafe gab, schlossen bereits vor der generellen Abschaffung ihre Verhängung bei minderjährigen Straftätern aus; dies war auch bei den Bundesgesetzen der Fall und nur drei Staaten – Oklahoma, Texas und Virginia – hatten nach 1999 noch minderjährige Straftäter hingerichtet.

Mehrere dieser Länder – Jemen, China, Pakistan und die USA – haben ihre Gesetze in den letzten Jahren geändert – doch aus Jemen, China und Pakistan wurden seitdem gleichwohl noch Hinrichtungen zur Tatzeit unter 18jähriger bekannt!

Im Jahr 2019 wurden mindestens sechs Minderjährige – in Iran (4), Saudi-Arabien (1) und Südsudan (1) – exekutiert.

Für das Jahr 2020 liegen Berichte über mindestens drei Hinrichtungen jugendlicher Straftäterinnen und Straftäter vor, die alle in Iran stattfanden.

Mindestens vier Menschen wurden 2021 für Straftaten hingerichtet, die sie als Minderjährige begangen hatten: Iran (3) und Jemen (1).

Im Jahr 2022 wurden mindestens fünf jugendliche Straftäterinnen und Straftäter in Iran hingerichtet.

Die Zahlenangaben spiegeln – mit wenigen Ausnahmen – nur Mindestwerte wider. Insgesamt liegen die Hinrichtungszahlen Minderjähriger wegen der Dunkelziffer wahrscheinlich höher.

Über die bekannt gewordenen Hinrichtungen hinaus, vermutet Amnesty International für die Jahre 2019 bis 2021, dass Jugendliche in den Ländern Iran, Malediven, Myanmar, Pakistan, Saudi-Arabien und Südsudan zum Tode verurteilt waren und mit ihrer Hinrichtung rechnen mussten. Amnesty International geht davon aus, dass Ende 2022 weiterhin zur Tatzeit Minderjährige im Todestrakt saßen, und zwar auf den Malediven, im Iran und in Saudi-Arabien.

Zum Beispiel: Volksrepublik China

Im Oktober 1997 trat eine Neuregelung des Strafgesetzbuches in Kraft, durch die die Praxis der Verhängung von Todesurteilen mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub gegen zum Tatzeitpunkt 16- und 17-jährige abgeschafft wurde.

Nach 1997 eingegangene Berichte legen jedoch nahe, dass auch weiterhin Personen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alt waren, hingerichtet werden, weil die Gerichte nicht genügend Sorgfalt auf die Feststellung des Alters der Angeklagten verwenden.

Im Januar 2003 wurde der 18jährige Zhao Lin für einen Mord im Bezirk Funing, Provinz Jiangsu, hingerichtet, den er im Alter von 16 Jahren begangen hatte. Presseberichte über diesen Fall weisen darauf hin, dass dem Gericht und der Polizei vollkommen klar war, dass Zhao Lin zum Tatzeitpunkt noch nicht 18 Jahre alt war, aber laut den genannten Presseberichten scheinen die Beamten nichts von den gesetzlichen Vorschriften gewusst zu haben, die die Hinrichtung von minderjährigen Straftätern verbieten.

Im zweiten Fall wurde Gao Pan, ein Bauer aus dem Bezirk Gaoyang, Provinz Hebei, am 08.03.2004 für ein Verbrechen hingerichtet, das er am 09.08.2001 begangen hatte. Damals hatte er das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet. Zum Beweis dass Gao Pan bereits 18 gewesen sei, legte die Anklagebehörde eine Haushaltsregistrierungsurkunde vor, die lediglich “August 1983” ohne einen genauen Tag angab – und von der selbst die Behörden in Peking inzwischen ausgehen, dass sie gefälscht ist. In urkundlichen Nachweisen, die die Polizei zum Zeitpunkt von Gaos Verhaftung einholte, wird der 11.08.1983 nach dem traditionellen Mondkalender angegeben, was dem 06.09.1983 nach dem westlichen Kalender entsprechen würde, was ihn in jedem Fall zum Tatzeitpunkt noch unter 18 macht. Doch nicht nur Gao, seine Familie und die Nachbarn geben an, dass Gao im Jahr der Ratte geboren sei, was dem Jahr 1984 entsprechen würde – auch seine von den Provinzbehörden geführten Grundschulzeugnisse geben den 11.08.1984 als sein Geburtsdatum an. Trotz der Beantragung weiterer Untersuchungen durch Gao, seine Familie und seinen Rechtsanwalt wurde Gao Pan hingerichtet.

Zum Beispiel: Iran

Am 20. September 2006, zwei Wochen nach seinem 18. Geburtstag wurde Sina Paymard unter den Galgen geführt, um gehängt zu werden. Als er dort mit der Schlinge um den Hals stand, wurde er nach seinem letzten Wunsch gefragt. Er sagte, dass er gerne die Ney spielen würde, eine im Nahen Osten gebräuchliche Flöte. Verwandte des Mordopfers, die anwesend waren, um der Hinrichtung beizuwohnen, waren so bewegt von seinem Spiel, dass sie in die Zahlung der diyeh (des Blutgelds) einwilligten anstelle der Vergeltung durch den Tod, was das iranische Recht erlaubt. Sina Paymard wurde Ende Dezember 2007 aus der Haft entlassen.

Die Islamische Republik Iran nimmt die beschämende Position ein, eines der letzten Länder auf der Welt zu sein, in dem minderjährige Straftäter offiziell hingerichtet werden – also Menschen, die für Verbrechen verurteilt wurden, die sie im Alter von unter 18 Jahren begangen hatten. Iran zeichnet sich auch dadurch in makabrer Weise aus, dass es nach den Erhebungen von Amnesty International seit 1990 mehr jugendliche Straftäter als jedes andere Land der Welt hingerichtet hat … Seit 1990 sind weltweit – soweit bekannt – 168 zur Tatzeit Minderjährige exekutiert worden, fast zwei Drittel (117) davon im Iran.

In vielen Fällen werden zum Tode verurteilte jugendliche Straftäter vor der Hinrichtung so lange gefangen gehalten, bis sie 18 Jahre alt sind. In dieser Frist legen einige erfolgreich Berufung gegen ihre Verurteilung ein. Einigen gelingt die Neuansetzung ihres Verfahrens in der Berufung und ein Freispruch im zweiten Verfahren. Andere werden von der Familie des Opfers in qesas-Fällen begnadigt und müssen diyeh (Blutgeld) zahlen. Wieder andere werden hingerichtet.

Trotz der oder vielleicht als Reaktion auf die Bilanz der iranischen Behörden in dieser Frage, hat sich in den letzten Jahren eine wachsende Bewegung zur Abschaffung der Todesstrafe für minderjährige Straftäter entwickelt. Zu dieser Bewegung gehören auch Angehörige der Regierung und der Justiz. Zum Beispiel wurde von der Justiz um 2001 ein Gesetzentwurf vorgelegt, der ursprünglich den Titel „Gesetz über die Errichtung eines Gerichtshofs für Kinder und Jugendliche“ trug und der die Todesstrafe für Minderjährige verbieten sollte. Eine geänderte Fassung dieses Entwurfs mit dem Titel „Gesetz zur Untersuchung von Jugendverbrechen“ wurde Berichten zufolge von der Islamischen Ratsversammlung (Majles, das iranische Parlament) Mitte 2006 debattiert und an einen Ausschuss zur weiteren Beratung überwiesen. Der Ausschuss soll den Entwurf im Mai 2007 an die Majles zurückverwiesen haben. Obgleich dieser Gesetzentwurf alles andere als perfekt ist (zum Beispiel nimmt er einige Verbrechensarten vom Verbot der Todesstrafe für jugendliche Straftäter aus), ist er Beweis für eine intern stattfindende Debatte und lässt eine Reform immerhin als möglich erscheinen.

Die Schwungkraft für eine Reform in Iran stammt hauptsächlich aus einer Bewegung von mutigen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern und anderen Aktivistinnen und Aktivisten wie Rechtsanwälten, Journalisten und Verteidigern der Rechte des Kindes. Diese Menschen haben sich für die von der Todesstrafe Bedrohten eingesetzt und Hinrichtungen verhindert. Sie haben Justizirrtümer aufgezeigt und Kampagnen zur Abschaffung jener Gesetze durchgeführt, die die Hinrichtung von minderjährigen Straftätern erlauben. Viele dieser Aktivisten wurden und werden bedroht, zu Verhören vorgeladen oder auf andere Weise von den Behörden verfolgt. So verhaftete man am 14. Oktober 2007 den bekannten Menschenrechtsverteidiger und führenden Anti-Todesstrafen-Aktivisten Emaddedin Baghi. Amnesty International geht davon aus, dass seine Festnahme politisch motiviert war. Andere wurden mit Reiseverboten belegt, so dass sie das Land nicht verlassen konnten. Versuche, Genehmigungen für Veranstaltungen und Demonstrationen gegen die Todesstrafe zu erlangen, wurden blockiert. Aber die Aktivisten haben sich nicht abschrecken lassen.

2016 wurden mindestens zwei, 2017 vier und 2018 sechs Jugendliche zum Galgen geführt, einige davon waren zur Tatzeit erst 15 oder 16 Jahre alt. Zahlreiche Personen wurden 2019 nach unfairen Gerichtsverfahren hingerichtet, einige von ihnen öffentlich. Unter den Opfern befanden sich auch Personen, die zur Tatzeit noch minderjährig waren.

Am 31. Dezember 2020 wurde ein junger Mann nach einem grob unfairen Prozess für ein Verbrechen, das begangen wurde, als dieser erst 16 Jahre alt war, hingerichtet. Dies zeigt einmal mehr den unerbittlichen Angriff der iranischen Behörden auf die Rechte von Kindern und ihre völlige Missachtung der Regeln der Jugendgerichtsbarkeit und des Rechts auf Leben. Nach mehr als 12 Jahren im Todestrakt wurde Mohammad Hassan Rezaiee in Vorbereitung auf seine Hinrichtung zunächst in Einzelhaft ins Lakan-Gefängnis verlegt und dann in den frühen Morgenstunden des 31. Dezember hingerichtet. Mohammad Hassan Rezaiee war 16 Jahre alt, als er 2007 im Zusammenhang mit der Erdolchung eines Mannes während einer Gruppenschlägerei verhaftet wurde. Sein Gerichtsverfahren war grob unfair. Trotz seines jungen Alters hielt ihn die Ermittlungseinheit der iranischen Polizei (agahi) in Bandar-e Anzali in der Provinz Gilan über längere Zeit in Einzelhaft ohne Zugang zu seiner Familie oder seinem Anwalt fest. Sie folterten ihn wiederholt, um „Geständnisse“ zu erzwingen, unter anderem indem sie ihn mit Stöcken schlugen, traten und mit Rohrschläuchen auspeitschten. Während seines Prozesses vor einem Strafgericht in der Provinz Gilan im Oktober 2008 stützte sich das Gericht auf seine erzwungenen „Geständnisse“, um ihn zum Tode zu verurteilen, obwohl er sie während des Prozesses widerrufen und erklärt hatte, sie seien unter Folter abgegeben worden. Trotz dieser eklatanten Verletzung des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren bestätigte der Oberste Gerichtshof des Iran später seine Verurteilung und das Todesurteil.

2018 wurden mindestens sieben, 2019 vier, 2020 und 2021 jeweils drei Jugendliche zum Galgen geführt, einige davon waren zur Tatzeit erst 15 oder 16 Jahre alt.
Drei zur Tatzeit Jugendliche, Sajad Sanjari, Arman Abdolali und Ali Akbar Mohammadi, wurden im Laufe des Jahres 2021 gehängt.16 Einer von ihnen ist Arman Abdolali, ein 25-jähriger Mann, der wegen eines Verbrechens, das er als 17-Jähriger begangen hatte, zum Tode verurteilt worden war. Er wurde am 24. November 2021 hingerichtet. Er sagte bei Gericht aus, er sei gefoltert worden, unter anderem durch lange Einzelhaft und Prügelstrafe, um den Mord an seiner Freundin zu „gestehen“. Das Gericht ließ das von Folter verseuchte „Geständnis“ als Beweismittel zu. Seine mehrfach verschobene Hinrichtung erfolgte ohne vorherige Benachrichtigung seiner Familie und seines Anwalts.
Im Jahr 2022 wurden mindestens fünf jugendliche Straftäterinnen und Straftäter in Iran hingerichtet.

Zum Beispiel: Saudi-Arabien

Die saudischen Behörden versicherten im Januar 2006 dem UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes, welcher die Einhaltung und Umsetzung der Bestimmungen des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes durch die einzelnen Vertragsstaaten überwacht, dass seit Inkrafttreten des Übereinkommens in Saudi-Arabien 1997 keine Minderjährigen mehr exekutiert worden seien. Dies entspricht indes nicht in vollem Maße der eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung, wonach niemand wegen einer Straftat hingerichtet werden darf, die er oder sie im Alter von unter 18 Jahren begangen hat, ungeachtet dessen, wie alt er oder sie zum Zeitpunkt der angesetzten Hinrichtung ist.

Ende April 2020 kündigte Saudi-Arabien per königlichem Erlass an, die Anwendung der Todesstrafe gegen Personen abzuschaffen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahren waren und deren Fälle nicht in den Bereich des Antiterrorgesetzes fallen. Die Todesstrafe wird durch eine Höchststrafe von zehn Jahren Gefängnis ersetzt. Die Ankündigung folgt auf das im April 2018 erlassene Jugendgesetz, das Gerichte daran hinderte, nach freiem Ermessen Todesurteile gegen Personen unter 15 Jahren zu verhängen. Sie hinderte diese jedoch nicht daran, die Todesstrafe gegen Personen anzuwenden, die für „hadd“-Verbrechen (mit festen und strengen Strafen nach der Scharia) oder für Verbrechen verurteilt wurden, die mit „qisas“ (Vergeltung) bestraft werden. Bei dieser Kategorie von Verbrechen nach der Scharia wird Mord mit derselben Tat bestraft, und zwar mit der Todesstrafe. Das Gesetz blieb somit hinter den Verpflichtungen Saudi-Arabiens gemäß dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtskonvention) zurück. Amnesty International ist der Auffassung, dass ihr klare Anwendungsbestimmungen folgen müssen, die keine Ausnahmen für Minderjährige zulassen.

Im Februar 2021 wandelte ein Gericht die Todesurteile von Ali al-Nimr, Abdullah al-Zaher und Dawood al-Marhoun in 10-jährige Haftstrafen unter Einbeziehung der bereits verbüßten Haftzeit um. Die drei jungen Männer waren als Kinder festgenommen worden. Die Neuverurteilung folgte einer Anordnung der Staatsanwaltschaft vom August 2020, die Todesurteile der drei Männer zu überprüfen.

Im März 2022 wurde Abdullah al-Huwaiti, ein junger Mann, der zum Zeitpunkt seines mutmaßlichen Verbrechens 14 Jahre alt war, nach einem Wiederaufnahmeverfahren von dem Strafgericht in Tabuk im Rahmen des Qisas – einer Form der Vergeltungsjustiz, die es der Familie des Opfers ermöglicht, ein Todesurteil, diya (finanzielle Entschädigung) oder eine Begnadigung zu fordern – erneut zum Tode verurteilt. Das Todesurteil erging wegen Mordes und bewaffneten Raubüberfalls. Der damals 14jährige wurde nach seiner Festnahme vier Monate lang in Isolationshaft gehalten und erhielt keinen Zugang zu einem Anwalt und zu seiner Familie. Er wurde unter Folter verhört, u. a. wurde er mit elektrischem Draht ausgepeitscht und so geschlagen, dass er tagelang nicht mehr laufen konnte.

„Der überwältigende internationale Konsens, dass die Todesstrafe nicht gegen minderjährige Straftäter verhängt werden darf, entspringt der Erkenntnis, dass junge Menschen wegen ihrer Unreife möglicherweise die Folgen ihres Handelns nicht im vollen Umfang verstehen und daher weniger harten Sanktionen als Erwachsene unterworfen werden sollten. Noch wichtiger ist, dass diese Überzeugung den festen Glauben widerspiegelt, dass junge Menschen sich noch eher ändern können und daher ein größeres Potenzial zur Rehabilitierung als Erwachsene haben.“
Mary Robinson, frühere Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen

Wenn Sie noch ausführlichere Informationen zur Todesstrafe gegen Jugendliche möchten, besuchen Sie doch die Website der Amnesty International Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe auf www.amnesty-todesstrafe.de

„HINRICHTUNGSWELTMEISTER“ CHINA

Zahlen zur Anwendung der Todesstrafe sind in China als Staatsgeheimnis eingestuft, so dass eine genaue Dokumentation unmöglich ist. Trends und Behauptungen von Staatsbeamten, diese Strafe sei auf eine kleine Anzahl von Fällen beschränkt, können deshalb unabhängig nicht bewertet werden. Soliden Schätzungen zufolge gehen die jährlichen Zahlen der Todesurteile und Hinrichtungen in China in die Tausende. Die verfügbaren Informationen deuten stark darauf hin, dass das Land auch im Jahr 2021 vermutlich weit mehr Menschen hingerichtet hat als der Rest der Welt zusammen.

Die Regierung gibt zwar keine offiziellen Zahlen preis – Nach wie vor gelten Statistiken über die Anwendung der Todesstrafe in China als “Staatsgeheimnis” – auf der Basis öffentlich zugänglicher Berichte dokumentierte Amnesty International allerdings, dass 2008 in China mindestens 1.718 Menschen (das sind über 70 % der in jenem Jahr weltweit bekannt gewordenen Exekutionen) hingerichtet und mindestens 7.003 zum Tode verurteilt wurden. Die tatsächliche Zahl der Exekutionen in der Volksrepublik China dürfte höher liegen. Chinesische Rechtsexperten vermuten, dass jährlich etwa 7.500-8.000 Menschen in der Volksrepublik hingerichtet werden. Für die Jahre 2009 – 2021 lagen lediglich unbestätigte Informationen vor, so dass Amnesty International seit 2009 in ihren jährlichen Berichten zur Todesstrafe keine konkreten Zahlen mehr nennt. Es wird jedoch weiterhin von mehreren Tausend Hinrichtungen pro Jahr ausgegangen.

Die wenigen Schritte, die in den letzten Jahren zur Verbesserung der Transparenz unternommen worden waren, erfuhren einen Rückschlag, als im Juli 2021 zahlreiche Urteile selektiv aus einer vom Obersten Volksgerichtshof betriebenen Online-Datenbank entfernt wurden.

Informationen und Berichte, die im Laufe des Jahres 2021 von Amnesty International gesammelt wurden, deuten darauf hin, dass die Todesstrafe hauptsächlich für Mord und in geringerem Maße für Drogendelikte verhängt wurde.

Für den Zeitraum 1990 bis Ende 2008 lassen sich auf der Grundlage von Amnesty-Zahlen mehr als 58.500 Todesurteile und über 32.000 Hinrichtungen dokumentieren. Trotz der weltweit beispiellosen Zahl an Todesurteilen und Hinrichtungen in China ist Berichten zufolge ein unverminderter Anstieg der Kriminalitätsrate in dem Land zu beobachten.

In der Regel vergeht zwischen der Verhängung der Todesstrafe und ihrer Vollstreckung weniger als ein Jahr; nicht selten sind es nur Monate. Der Hinrichtungstermin wird Verurteilten einen Tag vorher angekündigt. Angehörige von Todeskandidaten erfuhren bislang oft erst nach der Hinrichtung von der Vollstreckung, oder so kurz vor dem Hinrichtungstermin, dass es ihnen nicht möglich ist, den zum Tode verurteilten noch einmal zu sehen.

Todesurteile werden in der Regel gegen 10 Uhr morgens von Polizeikräften durch einen gezielten Schuss in den Hinterkopf nicht öffentlich vollstreckt. Als alternative Hinrichtungsmethode wurde im September 2001 die Giftspritze zugelassen. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua sprach in diesem Zusammenhang von einer „humaneren und wissenschaftlicheren“ Hinrichtungsmethode. Im Juni 2009 kündigten Vertreter des Staats an, dass es Ziel sei, auf lange Sicht die Hinrichtungsmethode des Erschießens durch die Giftspritze zu ersetzen. Seit Anfang März 2003 pendeln auch Hinrichtungsfahrzeuge (umgebaute Kleinbusse) zwischen den Gerichten der Provinzen, um Todeskandidaten mit der Giftspritze „effizienter“ und „Kosten sparender“ hinrichten zu können.

Im Juli und Dezember 2017 führten die Behörden in Lufeng, Provinz Guangdong, vor Tausenden von Menschen „Massensanktionskundgebungen“ durch und verstießen dabei gegen zahlreiche chinesische Vorschriften. Insgesamt 23 Menschen wurden auf Lastwagen vorgeführt und ihre Todesurteile für Drogendelikte öffentlich verlesen. Unmittelbar darauf wurden 18 Personen hingerichtet.

Insgesamt 46 Straftatbestände können aktuell in China mit dem Tode geahndet werden, einschließlich einiger gewaltfreier Delikte, die nicht die Schwelle der „schwersten Verbrechen“ erreichen, auf die die Anwendung der Todesstrafe nach Völkerrecht und internationalen Rechtsstandards beschränkt sein muss. Die Bandbreite reicht von Mord, bewaffnetem Raub, tätlichem Angriff, Geiselnahme und Vergewaltigung über „konterrevolutionäre“ Aktivitäten wie Verschwörung zum Sturz der Regierung über Wirtschaftsdelikte wie Korruption, Unterschlagung und Schmuggel bis hin zu anderen Vergehen, bei denen keine Gewalt angewendet wurde wie etwa Drogendelikte, Verrat von Staatsgeheimnissen, Zuhälterei, Sachbeschädigung, Diebstahl sowie Raubgrabungen an antiken Kulturstätten und Weiterverkauf kultureller Relikte. In der Praxis ergeht das Gros der Todesurteile wegen Mordes und Drogendelikten

Am 25. Februar 2011 schaffte der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongress, das Parlament der Volksrepublik China, die Todesstrafe für 13 Verbrechen ab und reduzierte die Zahl der Delikte, auf die die Todesstrafe steht, von 68 auf 55. Die achte Änderung des Strafrechts, die am 1. Mai 2011 in Kraft trat, sieht vor, dass künftig die Höchststrafe bei einigen gewaltlos verübten Wirtschaftsstraftatbeständen wie Steuerhinterziehung, Kreditbetrug, Schmuggel von Wertgegenständen und Antiquitäten, dem illegalen Handel mit Edelmetallen sowie bedrohten Tierarten nicht mehr verhängt wird. Es handelt sich dabei jedoch um Delikte, die in den letzten Jahren selten mit dem Tode bestraft wurden. Das überarbeitete Strafrecht ermöglicht auch strengere Strafen. So können Vergehen gegen die Lebensmittelsicherheit sowie die Herstellung und der Verkauf von gefälschten Medikamenten, die zu schweren Schäden oder gar zum Tod führen, seitdem auch mit dem Tode geahndet werden. Des Weiteren sieht die Änderung des Strafgesetzbuchs vor, dass Straftäter, die der „erzwungenen Organentnahme, erzwungenen Organspende oder Organentnahme bei Jugendlichen“ überführt werden, wegen eines Tötungsdelikts verurteilt werden können, eine Straftat, auf die die Todesstrafe steht.

Am 12. November 2013 nahm das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei eine Resolution an, die die Absicht der Behörden bekräftigt, schrittweise die Zahl der Verbrechen zu reduzieren, die mit der Todesstrafe geahndet werden. Zu den Vergehen, die nicht länger mit der Todesstrafe geahndet werden, gehören u. a. Schmuggel von Waffen und Atommaterial, Währungsfälschung, betrügerische Geldbeschaffung, Prostitutionsstraftaten und „Verbreiten von Gerüchten in Kriegszeiten, um Menschen irrezuführen“, allesamt Verbrechen, für die nach Behördenangaben die Todesstrafe „selten verhängt“ wird. Neue Höchststrafe ist lebenslange Haft. Diese Strafrechtsänderung wurde Ende August 2015 angenommen und reduzierte die Gesamtzahl der Kapitalverbrechen von ehemals 55 auf jetzt 46.

Insgesamt 46 Straftatbestände können seitdem in China mit dem Tode geahndet werden, einschließlich einiger gewaltfreier Delikte, die nicht die Schwelle der „schwersten Verbrechen“ erreichen, auf die die Anwendung der Todesstrafe nach Völkerrecht und internationalen Rechtsstandards beschränkt sein muss. Die Bandbreite reicht von Mord, bewaffnetem Raub, tätlichem Angriff, Geiselnahme und Vergewaltigung über „konterrevolutionäre“ Aktivitäten wie Verschwörung zum Sturz der Regierung über Wirtschaftsdelikte wie Korruption, Unterschlagung und Schmuggel bis hin zu anderen Vergehen, bei denen keine Gewalt angewendet wurde wie etwa Drogendelikte, Verrat von Staatsgeheimnissen, Zuhälterei, Sachbeschädigung, Diebstahl sowie Raubgrabungen an antiken Kulturstätten und Weiterverkauf kultureller Relikte. In der Praxis ergeht das Gros der Todesurteile wegen Mordes und Drogendelikten.

46 – oder auch wieder mehr? Chinesische Behörden kündigten im Jahr 2020 an, Verbrechen im Zusammenhang mit der Verhütung und Bekämpfung der Covid-19-Pandemie, schwer zu bestrafen, einschließlich mit der Todesstrafe. Mindestens ein Fall wurde bekannt, in dem eine Person wegen eines Verstoßes gegen Corona-Auflagen hingerichtet wurde.

GERICHTSVERFAHREN

Die Strafprozesse, in denen die Todesstrafe ausgesprochen werden kann, werden in erster Instanz vor Mittleren Volksgerichten geführt. Angeklagten steht das Recht zu, gegen Schuldspruch und Strafmaß Rechtsmittel vor dem Oberen Volksgericht der jeweiligen Provinz einzulegen. Hat ein Angeklagter auf Rechtsmittel verzichtet, so wird das Urteil automatisch überprüft. Die Oberen Volksgerichte sind als Rechtsmittelinstanz unter anderem autorisiert, Wiederaufnahmeverfahren etwa wegen Mangels an Beweisen anzuordnen. Erfolgreiche Berufungsverfahren oder gar Neuverhandlungen sind nach Beobachtung von Amnesty International jedoch selten. In China gibt es keine Begnadigungsverfahren für zum Tode verurteilte Gefangene, die alle Rechtsmittel vor Gericht ausgeschöpft haben.

Neben den Todesurteilen zur sofortigen Vollstreckung haben die Gerichte generell die Möglichkeit, Todesstrafen mit einem zweijährigen Aufschub des Vollzugs zu verhängen. Während dieser zwei Jahre müssen die Verurteilten Zwangsarbeit verrichten. Im Falle eines Todesurteils auf Bewährung entscheiden die Behörden (Provinzstaatsanwalt-schaften) nach Ablauf der Bewährungsfrist gemäß dem Betragen des Verurteilten in der Haft, ob das Todesurteil vollstreckt oder in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wird, was in Praxis 15 bis 20 Jahre Haft bedeutet. In eindeutigen Mordfällen wird gewöhnlich keine Todesstrafe auf Bewährung verhängt.

Nachdem schwere Fälle von Justizirrtümern in Todesstrafenfällen die Diskussion in der chinesischen Öffentlichkeit über das Für und Wider der Todesstrafe entfacht hatten, verfügte die Regierung, dass ab dem 1. Januar 2007 der Oberste Volksgerichtshof in Peking wieder als höchste Berufungsinstanz fungiert, eine Aufgabe, die er seit 1982 nicht mehr wahrgenommen hatte. Alle Todesurteile müssen nun diesem Gericht vorgelegt werden, das dann das Urteil bestätigen, revidieren oder an das zuständige Gericht zur Wiederaufnahme zurückverweisen kann. Das Prüfverfahren des Obersten Volksgerichtshofs ist nicht transparent. Seit der Aufnahme dieses Verfahrens, so berichten chinesische Behörden, sei die Zahl der Hinrichtungen zurückgegangen. Rechtswissenschaftler und Justizbeamte schätzen den Rückgang der Hinrichtungen seit 2007 auf jährlich etwa 10 bis 15 Prozent. Ende 2012 machten Vertreter des Obersten Volksgerichtshofs geltend, seit 2007 habe sich die Zahl der Hinrichtungen mehr als halbiert. Die Behauptung der Regierung, sie habe den Einsatz der Todesstrafe verringert, kann bislang nicht durch einen einzigen Beweis bestätigt werden.

Die Reform könnte nach Meinung chinesischer Rechtsexperten auch zu mehr Konsistenz bei der Verhängung der Todesstrafe führen und somit das Risiko von Fehlentscheidungen verringern. Amnesty International begrüßt diese Reform, aber niemand wird den tatsächlichen Effekt beurteilen können, solange die Behörden die Anzahl der zum Tode Verurteilten als eine geheime Angelegenheit verschweigt.

Am 11. Juni 2012 wurde der nationale Menschenrechtsaktionsplan für den Zeitraum 2012 – 2015 veröffentlicht. Der Plan umfasst Maßnahmen zur Stärkung der Verfahrensgarantien in allen Fällen, in denen die Verhängung der Todesstrafe droht. So sollen die Verfahren vor Berufungsgerichten für die Öffentlichkeit zugänglich werden, bei der Vernehmung der Angeklagten die Anwälte die Möglichkeit erhalten, ihre Meinung zu äußern, und Grundsatzurteile des Obersten Volksgerichtshof veröffentlicht werden im Hinblick auf die Klärung von Regeln für die Verhängung der Todesstrafe.

Am 21. November 2013 gab der Oberste Volksgerichtshof eine Leitlinie für Gerichte heraus, die Mechanismen zur Verhütung von ungerecht oder falsch entschiedenen Strafsachen enthält. Unter anderem soll durch den Ausschluss von Geständnissen, die durch Folter oder andere illegale Methoden erlangt wurden, Fehlurteile verhindert werden. Es wird nahegelegt(!), Todesurteile nur von erfahrenen Richtern fällen zu lassen.

Verschiedene Gremien der Judikative und Exekutive in China verabschiedeten im Laufe des Jahres 2017 diverse neue Vorschriften, die auf die Stärkung der Garantien für faire Gerichtsverfahren abzielen.

Auch im Jahr 2019 gab der Oberste Volksgerichtshof neue Leitlinien für Kapitalstrafsachen heraus. Mit den neuen Bestimmungen, die am 1. September 2019 in Kraft traten, wird das Recht auf Rechtsbeistand für Angeklagte während der Überprüfung ihres Todesurteils durch den Obersten Volksgerichtshof eingeführt sowie festgelegt, dass innerhalb von fünf Tagen nach Erlass der Entscheidung das Urteil bekanntgegeben werden muss. Darüber hinaus schreiben die Richtlinien vor, dass die erstinstanzlichen Gerichte den Gefangenen und seine nahen Verwandten nach Eingang der endgültigen Entscheidung des Obersten Volksgerichtshofs über die bevorstehende Hinrichtung informieren und ihnen Besuchsempfang im Gefängnis erlauben müssen. Nach Ermessen des Gerichts kann der Todeskandidat auch seine erweiterte Familie und Freunde zum letzten Mal treffen. Die Richtlinien gewähren dem Gefangenen auch das Recht, letzte Worte aufzuzeichnen. Die Vorinstanzen sind zudem seit September 2019 dazu verpflichtet, mit dem Justizausschuss des Obersten Volksgerichtshofs alle Fälle zu erörtern, bei denen die Todesstrafe eine mögliche Strafe ist.

Nach chinesischem Recht sind zur Tatzeit unter 18-Jährige und zum Zeitpunkt ihres Gerichtsverfahrens Schwangere von der Verhängung der Todesstrafe ausgenommen. Eine Änderung des Strafgesetzbuchs legt seit dem 1. Mai 2011 fest, dass Straftäterinnen und Straftäter, die zum Zeitpunkt ihres Gerichtsverfahrens 75 Jahre alt oder älter sind, von der Vollstreckung der Todesstrafe ausgenommen werden, es sei denn, ihre Verbrechen seien „außerordentlich grausam“ gewesen.

Bis zu einer Neuregelung des Strafgesetzbuches Im Oktober 1997 war die Verhängung von Todesurteilen mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub gegen zum Tatzeitpunkt 16- und 17-jährige erlaubt. Nach 1997 eingegangene Berichte legen jedoch nahe, dass auch weiterhin Personen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alt waren, hingerichtet werden, weil die Gerichte nicht genügend Sorgfalt auf die Feststellung des Alters der Angeklagten verwenden. (Näheres zu den 2 Amnesty International bekannt gewordenen Fällen finden sich im Kapitel „Hinrichtung zur Tatzeit minderjähriger Straftäter“)

In zunehmendem Maße wird die Todesstrafe auch gegen politische Gefangene angewendet. Die Opfer sind meist Uighuren, eine turksprachige ethnische Gruppe in der westchinesischen autonomen Provinz Xinjiang, die als muslimische Minderheit brutal unterdrückt wird. Mit ihren drastischen Maßnahmen gegen die so genannten „drei üblen Kräfte“, das heißt „Separatisten, Terroristen und religiöse Extremisten“, verübt die Volksrepublik China massive Menschenrechtsverletzungen. Die chinesische Regierung fasst unter dem Begriff „Separatismus“ eine große Anzahl Aktivitäten zusammen, bei denen es sich zum Teil lediglich um friedliche Handlungen anders denkender oder oppositioneller Personen oder um die gewaltlose Ausübung des Rechts auf Religionsfreiheit handelt.

Ende Januar 2003 wurde seit vielen Jahren der erste Fall bekannt, dass auch ein Tibeter wegen angeblicher politischer Straftaten nach einem Geheimprozess hingerichtet worden war. Zwei weitere Männer aus Tibet, Losang Gyaltse und Loyar, wurden im Oktober 2009 hingerichtet. Sie waren während der Unruhen in der Autonomen Region Tibet und einigen Nachbarprovinzen mit tibetischer Bevölkerung im März 2008 festgenommen und im darauf folgenden Monat vom Mittleren Volksgericht in Lhasa zum Tode verurteilt worden.

Neun Personen – acht Uiguren und ein Han-Chinese – befanden sich unter den 21 Personen, die im Oktober 2009 in Verbindung mit den Unruhen, die im Juli 2009 in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang im Westen Chinas ausbrachen, zum Tode verurteilt wurden. Die Neun waren wegen verschiedener Straftaten, darunter Raubüberfall, Brandstiftung und Mord, verurteilt worden. Am 9. November 2009 gaben die Behörden bekannt, dass alle neun Männer hingerichtet worden seien, nachdem der Oberste Volksgerichtshof die Todesurteile ungewöhnlich rasch geprüft und bestätigt hatte.

China machte 2014 weiterhin von der Todesstrafe als Instrument in der Kampagne „Hart zuschlagen“ Gebrauch. Diese war von den Behörden als Reaktion auf Terrorismus und Gewaltverbrechen im autonomen Gebiet Xinjiang bezeichnet worden. Drei Menschen wurden zum Tode verurteilt. Die Todesstrafen ergingen im Rahmen einer Massenaburteilung von 55 Personen, die des Terrorismus, Separatismus und Mordes für schuldig befunden worden waren. Zwischen Juni und August 2014 wurden 21 Menschen in der Provinz Xinjiang wegen verschiedener Terroranschläge hingerichtet.

Zwischen dem Gesetz, der Praxis und den internationalen Verpflichtungen, die die chinesische Regierung eingegangen ist, besteht ein großes Gefälle. Nach Ansicht von Amnesty International ist das Strafrechtssystem der Volksrepublik China, das im Juli 1979 eingeführt wurde, derart mangelhaft, dass die Justizbehörden nicht in der Lage sind, in Fällen, in denen die Todesstrafe verhängt werden kann, ein faires Gerichtsverfahren in Übereinstimmung mit internationalen rechtlichen Standards zu gewährleisten und die Schuld eines Angeklagten zweifelsfrei festzustellen. So gibt es in der Praxis keine Unschuldsvermutung, und politischer Druck mit der Forderung nach harten Strafen verhindert ein unabhängiges Arbeiten der Justiz. Nicht selten stehen Urteil und Strafmaß bereits vor Prozessbeginn fest.

Amnesty International hat schwere Verletzungen rechtsstaatlicher Prinzipien aufgezeigt. Dazu gehören die chronische Missachtung verfahrensrechtlicher Bestimmungen durch die Justizbehörden ebenso wie verkürzte Gerichtsverfahren.

Zum Tode Verurteilte erhoben nicht selten Vorwürfe, im Zusammenhang mit ihrer Inhaftierung gefoltert oder misshandelt worden zu sein, um „Geständnisse“ zu erpressen. Diese so erlangten Aussagen wurden später vor Gericht als Beweismittel zugelassen. Geständnisse zählen mehr als Beweise. Anstelle der Unschuldsvermutung zugunsten des Angeklagten liegt die Beweislast der Unschuld auf Seiten der Verurteilten.

Die Strafverfahrensregelungen räumen der Polizei einen breiten Ermessensspielraum ein, straftatverdächtige Personen über lange Zeiträume hinweg ohne Gerichtsverfahren in Haft zu halten. Dadurch erhöht sich die Gefahr von Folter und Misshandlung, da die betroffenen Gefangenen während dieser Zeit nur eingeschränkt Zugang zu ihren Familien und einem Rechtsbeistand erhalten. Die Strafverfahrensvorschriften enthielten bis vor kurzem kein ausdrückliches Verbot der gerichtlichen Verwendung von „Geständnissen“ als Beweismittel, die unter Folterungen oder Misshandlungen erlangt worden sind. Ein solches Verbot ist allerdings explizit im UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe enthalten. Obwohl die Volksrepublik China bereits seit 1988 Vertragsstaat des Abkommens ist, finden dort in nahezu allen Hafteinrichtungen Folterungen und Misshandlungen statt. Amnesty International erhält regelmäßig Berichte von Todesfällen in Gewahrsam. Viele sterben als Folge von Folter in verschiedenen staatlichen Institutionen, darunter Gefängnisse und polizeiliche Haftanstalten.

Der Oberste Volksgerichtshof, die Oberste Staatsanwaltschaft, die Ministerien für öffentliche Sicherheit und Staatssicherheit sowie das Justizministerium haben gemeinsam neue Verordnungen erlassen, die am 1. Juli 2010 in Kraft traten und die Verwendung von auf illegalem Wege erhaltenen Beweismitteln in Strafprozessen effektiver verbieten sollen. Dazu zählen unter anderem erzwungene Geständnisse und weitere durch Folter oder andere Misshandlungen erhaltene Beweismittel. Durchgesetzt werden sollen diese Verordnungen durch die Verbesserung rechtlicher Verfahren zur Erhebung, Prüfung und zur Feststellung der Gesetzmäßigkeit von Beweisen.

Tatverdächtige haben bei ersten Polizeiverhören kein Recht auf einen Anwalt. Auch vor Gericht verfügen Angeklagte häufig über keinen Rechtsanwalt oder nur beschränkten Zugang zu anwaltlicher Vertretung. Ausländische Staatsbürger beklagten zudem, dass ihnen im Prozess kein Dolmetscher zur Seite gestellt wurde. Dies alles leistet Justizirrtümern und Rechtsbeugung Vorschub. Hinzu kommt, dass Richter erst seit 2002 ein Jurastudium als Qualifikation für ihr Amt vorlegen müssen. Viele der gegenwärtig rund 200.000 Richter sind ehemalige Armeeangehörige oder Beamte und haben keinen akademischen Abschluss vorzuweisen. Erst seit Januar 2006 ist eine neue Regel in Kraft, wonach alle „wichtigen“ Fälle, bei denen die Todesstrafe droht, öffentlich verhandelt werden müssen. Es müssen drei Richter anwesend sein und der Verurteilte hat ein Recht auf Anhörung.

Am 20. August 2021 verabschiedete der Nationale Volkskongress ein neues Gesetz zur Verbesserung des Zugangs zu Prozesskostenhilfe im ganzen Land, unter anderem durch die obligatorische Rechtsberatung in Strafsachen mit lebenslanger Haft und Todesstrafe, wenn kein Rechtsanwalt privat beauftragt wurde.

Doch längst gibt es auch in China Kritiker der extensiven Anwendung der Todesstrafe. So argumentierte 2011 Zhang Qianfan, Professor der Rechtswissenschaften an der Universität von Peking, dass jede wirkliche Debatte unterdrückt werde, wenn die Öffentlichkeit nur sensationsheischende Meldungen zu einigen wenigen Todesstrafenfällen erhalte. Er merkte an: „[…] erst wenn die Anzahl der Hinrichtungen veröffentlicht wird, kann in China eine rationale Diskussion über die Abschaffung der Todesstrafe beginnen.“

Forderungen von Amnesty International
– Bis zur vollständigen Abschaffung muss die chinesische Regierung den Anwendungsbereich der Todesstrafe einschränken und sie insbesondere für nicht-gewalttätige Delikte abschaffen.
– Es sind faire Verfahren zu gewährleisten
– Die chinesische Regierung soll regelmäßig Statistiken über die Anzahl der Todesurteile und Hinrichtungen veröffentlichen.
– Angehörige und Anwälte von allen Todeskandidaten sollen Zugang zu ihnen erhalten und über den Stand des rechtlichen Verfahrens informiert werden.

… und last but not least:
DIE TODESSTRAFE IN DEN USA

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind seit nunmehr 14 Jahren das einzige Land auf dem amerikanischen Kontinent, das Hinrichtungen vollzieht und eine der wenigen Industrienationen, die überhaupt weiterhin an der Todesstrafe festhalten. Weltweit hat sich eine klare Mehrheit der Staaten von der Todesstrafe abgewandt, da diese mit allgemein herrschenden Vorstellungen von Menschenwürde unvereinbar ist.

Der achte US-Verfassungszusatz verbietet „grausame und ungewöhnliche Strafen“. Dieses Verbot wird in den USA nicht als ein Ausschluss der Todesstrafe interpretiert, sondern als das Gebot Hinrichtungen sollten schmerzfrei ablaufen. Wie am Ende dieser Seiten ersichtlich, bekommen sie aber auch das viel zu häufig nicht hin …

Die Prozesse finden auf Ebene der Bundesstaaten in erster Instanz vor Bezirksgerichten statt. Vertreter der Bezirksstaatsanwaltschaft als Anklagebehörde können gegen Angeklagte, denen ein Kapitalverbrechen zur Last gelegt wird, die Todesstrafe fordern. Mord unter erschwerenden Tatumständen ist dabei das einzige Verbrechen, das mit der Todesstrafe als Höchststrafe bedroht ist (beziehungsweise auch Tötungsdelikte wenn zwar für dieses kein Vorsatz bestand aber für das Begleitverbrechen, z.B. den Einbruch, Raubüberfall etc.). Es wird in einem zweigeteilten Verfahren verhandelt. Geschworene (Jury) befinden in einer ersten Phase des Prozesses per Abstimmung über die Schuld oder Unschuld eines Angeklagten. Dieselben Jurymitglieder nehmen in einer zweiten Phase unter Berücksichtigung strafmildernder und strafverschärfender Umstände auch die Strafzumessung vor, wobei sie bei Kapitalverbrechen zwischen der Todesstrafe und einer alternativen Strafe – in der Regel lebenslange Haftstrafe ohne Möglichkeit der Begnadigung – auswählen können.

Nach der Verurteilung und der Verhängung der Todesstrafe haben Todeskandidaten zunächst die Möglichkeit, sich in den einzelstaatlichen Berufungsinstanzen gegen Schuldspruch und Todesurteil zu wehren, wobei eine automatische Überprüfung durch das Berufungsgericht des jeweiligen Bundesstaats vorgesehen ist. In einigen Bundesstaaten hat der Gesetzgeber jedoch sehr kurze Fristen für die Anfechtung von Todesurteilen gesetzt und auch die Gründe, auf die Rechtsmittel gestützt werden können, eng begrenzt.

In bestimmten Fällen können weitere Überprüfungen durch Bundesgerichte erfolgen. Doch diese Möglichkeiten werden gerade durch das oberste Bundesgericht, den US Supreme Court, welcher primär hinsichtlich möglicher Verstöße gegen die Verfassung entscheidet, und dessen Zusammensetzung sich während der Präsidentschaft von Donald Trump drastisch verändert hat, zunehmend eingeschränkt:

So darf ein Bundesgericht nach einer Entscheidung von 2022 keine Beweisanhörung mehr durchführen oder auf andere Weise Beweise berücksichtigen, die über die Aufzeichnungen des bundesstaatlichen Gerichts hinausgehen. Selbst dann nicht (mehr – vorherige US Supreme Courts hatten das noch anders gesehen), wenn der Verurteilte sich auf den 6. Verfassungszusatz, das heißt die unzureichende und inkompetente Unterstützung des Verurteilten durch einen staatlichen Strafverteidiger beruft. Ob es sich nun um nicht vorgebrachte Nachweise für verminderte Schuldfähigkeit oder für tatsächliche Unschuld handelt. (nachzulesen https://supreme.justia.com/cases/federal/us/596/20-1009/ …oder auch den pointierten Kommentar von Bryan Clark im Idaho Statesman https://www.idahostatesman.com/opinion/opn-columns-blogs/article262299322.html)

Das Prozedere der Berufungsverfahren nimmt im landesweiten Durchschnitt etwa 14 Jahre in Anspruch, bevor das Todesurteil Rechtskraft erlangt und vollstreckt werden kann. In nicht wenigen Fällen liegen zwischen Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe zwei bis drei Jahrzehnte Haft und darüber hinaus.

Wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist, können zum Tode Verurteilte noch beim Gouverneur des jeweiligen Bundesstaats ein Gnadengesuch einreichen. Dieser ist befugt, einen Hinrichtungsaufschub anzuordnen, verhängte Strafen umzuwandeln und Häftlinge zu begnadigen. In den meisten Bundesstaaten kann der Gouverneur nur auf Empfehlung eines Begnadigungsausschusses handeln.

Darüber hinaus kann die Todesstrafe im ganzen Land – also auch in Staaten ohne Todesstrafe – nach Bundesrecht verhängt werden: zum Beispiel bei einem Attentat auf den Präsidenten oder Vizepräsidenten, bei Spionage, Flugzeugentführung, organisiertem Drogenhandel, Landesverrat, Terrorismus und anderen Verbrechen gegen die nationale Sicherheit.

Ebenso ist die Todesstrafe nach dem Militärstrafrecht für insgesamt 15 Delikte vorgesehen, darunter Mord, schwere Spionage auch in Friedenszeiten sowie Desertion und Befehlsverweigerung in Kriegszeiten.

1.558 Männer und Frauen (Stand 31.12.2022) sind in den USA exekutiert worden, seit 1977 nach rund zehnjähriger Pause die Hinrichtungen wieder aufgenommen wurden. Die 1.500. wurde am 20.06.2019 von Georgia durchgeführt (da die Hinrichtung für Georgia ungewöhnlich kurzfristig angesetzt wurde, könnte man daraus schließen, dass der Staat damit Texas, das zum Zeitpunkt der Hinrichtungsankündigung für Juli bereits mehrere Hinrichtungen angesetzt hatte, in einem ziemlich unrühmlichen Rennen um die Publicity, die diese „runde“ Hinrichtung generiert hat geschlagen hat … damit auch alle sehen: „we are tough on crime“).

Die Anwendung der Todesstrafe in den USA wird von Willkür, Diskriminierung und Irrtümern begleitet. Mindestens 192 Gefangene (Stand Ende Mai 2023) mussten seit Wiederzulassung der Todesstrafe in den USA aus den Todestrakten entlassen werden, nachdem sich ihre Unschuld erwiesen hatte. 18 allein in 2020. 192 … das ist 1 unschuldig aus dem Todestrakt entlassener auf 8 Hinrichtungen. Wie viele weitere Unschuldige warten in den Todeszellen auf ihre Hinrichtung? Andere wurden trotz erheblicher Zweifel an ihrer Schuld hingerichtet. Auch nur 1 Unschuldiger darunter wäre einer zu viel!

In den USA entscheiden viele Faktoren, die oft nichts mit dem Verbrechen zu tun haben, ob ein Angeklagter zum Tode verurteilt wird oder eine andere Strafe erhält. So zeigen Studien, dass die Hautfarbe bei der Frage, wer zum Tode verurteilt wird und wer nicht, eine Rolle spielt. Morde, bei denen Weiße ums Leben kamen, werden mit erheblich höherer Wahrscheinlichkeit mit der Todesstrafe geahndet als solche, bei denen Schwarze starben.

Zum Faktor Hautfarbe kommen noch
• wahltaktische Erwägungen (in vielen Bundesstaaten werden die Staatsanwälte und/oder die Richter gewählt).
Persons who undertake the task of administering justice impartially should not be required – indeed, they should not be permitted – to finance campaigns or to curry the favor of voters by making predictions or promises about how they will decide cases before they have heard any evidence or argument. A campaign promise to “be tough on crime,” or to “enforce the death penalty,” is evidence of bias that should disqualify a candidate from sitting in criminal cases. – U.S. Supreme Court Justice John Paul Stevens, 1996
• die lokale Finanzsituation,
• die Zusammensetzung der Jury und
• die Qualität der Verteidigung, die den Angeklagten zur Verfügung steht hinzu (oder wie es Stephen B. Bright, Direktor des Southern Center for Human Rights, Atlanta, Georgia in einem Artikel formuliert „The Death Sentence Not for the Worst Crime but for the Worst Lawyer“).

All diese Faktoren spielen eine Rolle in einem Todesstrafensystem, das mehr einer Lotterie gleicht als einer sorgfältigen Auswahl der „allerschlimmsten“ Verbrechen und Verbrecher, von der die Befürworter der Todesstrafe sprechen.

Im Jahr 2008 erklärte das damals älteste Mitglied des Obersten US-Gerichtshofs, Richter John Paul Stevens, dass seine 33-jährige Praxis am Gerichtshof ihn davon überzeugt habe, dass „die Verhängung der Todesstrafe eine sinnlose und unnötige Auslöschung von Leben“ ist.

Die Todesstrafe befindet sich auch in den USA auf dem Rückzug. Allein seit 2010 haben 8 Bundesstaaten die Todesstrafe abgeschafft, in 3 Staaten − KALIFORNIEN, OREGON und PENNSYLVANIA − sind offizielle Hinrichtungsmoratorien in Kraft, in KENTUCKY und MONTANA haben Gerichte die Todesstrafe zur Zeit jedenfalls außer Kraft gesetzt, weil die Verfahrensprotokolle für die Hinrichtungen ungesetzlich seien und in NORTH CAROLINA gibt es de facto ein Moratorium, nachdem die Ärztekammer des Bundesstaates entschieden hat, dass Ärzte nicht an Hinrichtungen teilnehmen dürfen, was nach bundesstaatlichem Recht jedoch vorgeschrieben ist. Die Zahl der jährlich verhängten Todesurteile hat gegenüber ihrem Höchststand in den 1990er Jahren um mehr als 80 Prozent abgenommen. Die Mehrheit der Hinrichtungen entfällt auf eine kleine Zahl von Bundesstaaten im Süden der USA.

Meinungsumfragen zeigen zudem, dass die öffentliche und politische Unterstützung dieser Strafe schwindet: Zweifel an der Fairness und Effektivität der Höchststrafe wachsen, hinzu kommt die Sorge, eine unschuldige Person könnte aus Versehen hingerichtet werden.

63 % der Befragten in den USA befürworteten 2014 diese äußerste Strafe (gegenüber 80 Prozent im Jahr 1994). Stellte man in Umfragen die lebenslange Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit einer Begnadigung als Alternative zur Todesstrafe zur Wahl, sprachen sich 45 Prozent der Befragten für „lebenslang“ aus während 50 Prozent der Todesstrafe den Vorzug gaben.

Bei einer landesweit durchgeführten Umfrage der unabhängigen privaten Quinnipiac Universität (Bundesstaat Connecticut) sprachen sich 51 Prozent der Befragten dafür aus, wegen Mordes verurteilte Personen mit lebenslanger Freiheitsstrafe ohne Chance auf Begnadigung zu bestrafen. 37 Prozent gaben der Todesstrafe den Vorzug. Die am 22. März 2018 veröffentlichte Meinungsumfrage weist erstmals eine Mehrheit zu Gunsten der lebenslangen Haftstrafe aus. Frauen unterstützen die Option Haftstrafe mit 56 gegen 33 Prozent. Bei den befragten Männern fiel das Ergebnis pro lebenslange Haftstrafe knapper aus mit 45 zu 42 Prozent.

Auch eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup aus dem Jahr 2019 zeigt: Die Mehrheit der US-Amerikanerinnen und Amerikaner hält eine lebenslange Freiheitsstrafe für zweckmäßiger als die Todesstrafe. Demnach halten 60 Prozent der Befragten Freiheitsentzug ohne Chance auf vorzeitige Entlassung für die bessere Maßnahme. 36 Prozent hingegen sind der Auffassung, die Todesstrafe sei effektiver.

Die Zahl der Exekutionen in den USA lag 2022 bei 18 verglichen mit 11 in 2021 (eine Zunahme um 64 Prozent). Diese 18 Exekutionen verteilten sich auf sechs Bundesstaaten (2021: 5). Die Jahresbilanz lag damit im achten Jahr in Folge bei unter 30 Hinrichtungen. Die meisten Todesurteile vollstreckten im Jahr 2022 Oklahoma und Texas (je 5), gefolgt von Arizona (3). Die Gesamtzahl der Exekutionen hat sich seit Wiederzulassung der Todesstrafe in den USA im Jahr 1976 bis Ende 2022 auf 1.558 (darunter 17 Frauen) erhöht.

Ende 2022 gab es gab es landesweit 2.276 zum Tode Verurteilte (Tendenz abnehmend: 01.01.2022: 2.436, 1.10.2020: 2557, 1.1.2020: 2620, 1.1.2019: 2.690, Anfang 2017 waren es noch über 2.800) in 28 Bundesstaaten. Wobei der hohe Rückgang in den vergangenen Jahren teilweise auf die Pandemie zurückzuführen ist: allein von Ende April 2020 bis Mitte August 2020 sind 16 Todestraktinsassen an Covid-19 gestorben, 13 alleine in Kalifornien. Die meisten Häftlinge warten in den Todeszellen der Bundesstaaten Kalifornien, Florida und Texas auf ihre Exekution. Nur 48 der Todestraktinsassen sind weiblichen Geschlechts.

Insgesamt 21 neue Todesurteile wurden 2022 in 12 Bundesstaaten ausgesprochen, ein Anstieg im Vergleich zu 2021, als 7 Bundesstaaten in Summe 18 Todesstrafen fällten. Die Jahresbilanz an Todesurteilen lag damit im achten Jahr in Folge bei unter 50 neuen Verurteilungen zum Tode. Mitte der 1990er-Jahre hatte die Zahl der jährlich verhängten Todesurteile noch bei mehr als 300 gelegen. Vor allem die Sorge, dass Unschuldige hingerichtet werden könnten, wirkt sich dämpfend auf Gerichte und Geschworene aus. Auch ethische Bedenken und die Besorgnis über die hohen Kosten der Todesstrafe sind Gründe dafür, dass sich das Land auch 2022 weiter von dieser Strafe wegbewegt hat.

Gleichwohl:
– die vor einigen Jahren entgegen internationaler Normen erfolgte Ausweitung auf weitere Delikte, z. T. auch solche ohne Todesfolge, die nach dem Willen der Gesetzgeber einiger Bundesstaaten auch in Zukunft noch fortgesetzt werden soll.
– die erschreckende Zahl von Todesurteilen gegen Unschuldige
– sowie Verurteilungen und Hinrichtungen psychisch kranker Personen
bieten trotz einiger positiver Entwicklungen der letzten Jahre nach wie vor Anlass zur Sorge.

Unschuldig zum Tode verurteilt

„If one of our fellow citizens can be executed with so much doubt surrounding his guilt, then the death penalty system in our country is unjust and outdated.”
Ex-Präsident Jimmy Carter anlässlich der Hinrichtung von Troy Davis im US-Bundesstaat Georgia am 21. September 2011. Das Todesurteil wurde trotz erheblicher Zweifel an der Schuld des Gefangenen vollstreckt.

Seit 1973 mussten in 29 US-Bundesstaaten nicht weniger als 192 Menschen (Stand Ende Mai 2023; jeweils aktueller Stand: https://deathpenaltyinfo.org/database/innocence … erschreckend oft findet sich bei dem Grund für die Entlassung „official misconduct“) wegen erwiesener Unschuld oder erheblicher Zweifel an ihrer Schuld aus den Todestrakten entlassen. Davon sind 110 Fälle allein seit Anfang 2000 aufgedeckt worden. Einige Gefangene standen nach jahrelanger Haft – zwischen 1 und 43(!) Jahren – kurz vor ihrer Hinrichtung.

So wurde zum Beispiel am 29. März 2019 in Florida Clifford Williams Jr. 42 Jahre nachdem er und sein Neffe zu Unrecht wegen Mordes verurteilt worden waren und Clifford Williams hierfür die Todesstrafe erhielt, entlastet. Die Staatsanwaltschaft von Duval County reichte einen Bericht der Conviction Integrity Unit ein, in dem sie „keine glaubwürdigen Beweise für Schuld und… glaubwürdige Beweise für Unschuld“ feststellte. Sie forderte ein Gericht in Jacksonville auf, alle Anklagen gegen den 76-jährigen Williams und seinen Neffen Nathan Myers zurückzuweisen Williams war der 165. ehemalige Todeskandidat, der seit 1973 in den USA entlastet wurde. (wen die Details der Fälle interessieren: https://deathpenaltyinfo.org/news/florida-man-exonerated-42-years-after-wrongful-conviction-and-death-sentence) (Mistaken Witness Identification + Official Misconduct + Inadequate Legal Defense finden sich bei Mr. Williams als Gründe für die Entlastung, um auf die Innocence Database zurückzukommen).

Florida verzeichnet mit mindestens 30 die höchste Zahl der wegen erwiesener Unschuld aus den Todestrakten entlassenen Personen. In 21 der 23 Fälle für die dem Death Penalty Information Center die Details der Urteile der Jury bekannt ist, verhängten die Richter die Todesstrafe, indem sie eine Empfehlung der Jury gegen die Todesstrafe überstimmten oder einer nicht einstimmigen Empfehlung der Jury für den Tod folgten. Im Mai 2016 erklärte ein Bezirksgericht im Bundesstaat Florida die Todesstrafe vorübergehend für verfassungswidrig, weil es bis dahin einem Richter gestattet war, eine Person unabhängig
von einer Empfehlung der Jury zum Tode zu verurteilen. Seitdem ist eine einstimmige Empfehlung der Jury erforderlich, bevor ein Richter ein Todesurteil verhängen kann. Oder besser gesagt: war es bis April 2023: „Um die Todesstrafe in einem Strafverfahren zu verhängen, ist in Florida künftig kein einstimmiges Votum der Geschworenen mehr erforderlich. Es reichen acht von zwölf Stimmen. Gouverneur DeSantis unterschrieb ein entsprechendes Gesetz.“ (tagesschau.de vom 21.04.2023) … eine Reaktion darauf, dass nur 9 von 12 Geschworenen für die Todesstrafe des Täters im Parkland-Schulmassaker gestimmt hatten (wohl nicht zuletzt weil die Verteidigung Beweise und Zeugenaussagen vorgelegt hatte, dass Cruz an Hirnschäden, Geisteskrankheiten und Behinderungen litt, die darauf zurückzuführen waren, dass seine leibliche Mutter während der Schwangerschaft mit ihm Alkohol getrunken und verschiedene illegale Drogen konsumiert hatte), und Cruz daher nur zu nacheinander abzuleistenden 17× lebenslänglich ohne Chance auf Bewährung (Mord) sowie 17× lebenslänglich mit Chance auf Bewährung (versuchter Mord) verurteilt werden konnte.

Nicht wenige Fehlurteile gehen auf inkompetente Verteidiger und Verfehlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft zurück. Weitere Ursachen liegen darin begründet, dass in den Verfahren unglaubwürdige Hauptbelastungszeugen, Beweismittel und Geständnisse zugelassen wurden. In vielen Fällen haben nachträgliche DNA-Analysen den Unschuldsbeweis erbracht.

Wie viele gleichfalls Unschuldige, aber weniger glückliche Gefangene noch in US-Todeszellen sitzen und auf ihre Hinrichtung warten – oder gar hingerichtet wurden – wird wohl nie mit Sicherheit festzustellen sein. Noch muss bewiesen werden, dass die USA tatsächlich eine unschuldige Person seit Wiederaufnahme der Hinrichtungen im Jahr 1977 exekutiert haben, auch wenn zahlreiche Gefangene ihre Todesstrafe antraten, obwohl erhebliche Zweifel an ihrer Schuld bestanden. Eine 2014 in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichte Studie der Universität Michigan schätzt, dass über vier Prozent der in den Vereinigten Staaten zum Tode verurteilten Häftlinge unschuldig seien und, würden alle von ihnen weiterhin unter der Androhung der Todesstrafe bleiben, rehabilitiert werden müssten. Ein Teil von ihnen versterbe jedoch vorher oder erlebe die Umwandlung in eine lebenslange Freiheitsstrafe nicht, was Untersuchungen mit dem Ziel einer Entlastung unwahrscheinlich mache. Die Autoren bezeichnen ihr Ergebnis als konservative, also vorsichtige Schätzung

Der Staat ILLINOIS zog als erster Konsequenzen aus dieser Misere: nachdem dort innerhalb der Jahre zuvor 13 Unschuldige aus dem Todestrakt entlassen werden mussten, verkündete im Januar 2001 der Gouverneur einen Hinrichtungsstopp. Am 10. Januar 2003 ordnete Gouverneur Ryan die Freilassung von vier weiteren Männern an, die – aufgrund unter Folter erzwungener Geständnisse – unschuldig zum Tode verurteilt worden waren. Als quasi letzte Amtshandlung wandelte Ryan dann einen Tag darauf alle weiteren zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Todesurteile in lebenslängliche Haftstrafen um.

Am 6. und 11. Januar 2011 votierten schließlich das Repräsentantenhaus und der Senat des Bundesstaats ILLINOIS für ein Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe. Gouverneur Pat Quinn unterzeichnete das Gesetz am 9. März 2011. Illinois war damit der 16. Bundesstaat der USA ohne Todesstrafe.

“The evidence presented to me by former prosecutors and judges with decades of experience in the criminal justice system has convinced me that it is impossible to devise a system that is consistent, that is free of discrimination on the basis of race, geography or economic circumstance, and that always gets it
right.” Governor Pat Quinn of Illinois, USA, 9 March 2011

Hinrichtung psychisch kranker und geistig behinderter Menschen

Das rechtsstaatliche Prinzip, geistig behinderte und psychisch kranke Personen weder zum Tode zu verurteilen noch tatsächlich hinzurichten, wird inzwischen in den allermeisten Staaten beachtet. Der Internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte sowie die vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen verabschiedeten Garantien zum Schutz von Personen, denen die Todesstrafe droht, verbieten die Hinrichtung von Geisteskranken und Personen, die geistig stark eingeschränkt sind.

Von den Staaten, die noch immer an der Todesstrafe festhalten, haben inzwischen fast alle dem Rechnung getragen und entsprechende Gesetze erlassen. Nach Angaben von Amnesty International haben seit 1995 nur drei Staaten geistig behinderte und psychisch kranke Menschen hingerichtet: Kirgisistan, die USA und Japan.

In einer wichtigen Grundsatzentscheidung erklärte der Oberste Gerichtshof im Juni 2002 im Fall Atkins gegen Virginia die Hinrichtung von geistig zurückgebliebenen Gefangenen für verfassungswidrig. Hier befand das Gericht, dass sich ein „nationaler Konsens“ gegen solche Hinrichtungen herausgebildet habe. Das Gericht führte unter anderem die „hohe Zahl“ von Bundesstaaten an, die Gesetze verabschiedet hatten, die die Hinrichtung von geistig Zurückgebliebenen verboten. Der Oberste Gerichtshof überließ es den Bundesstaaten, die Atkins-Entscheidung rechtlich umzusetzen, also geistige Behinderung zu definieren und zu regeln, welcher Nachweis für das Vorliegen einer Intelligenzminderung einzufordern ist. In der Praxis wird bei einem Intelligenzquotienten von unter 70 Punkten das Vorliegen einer geistigen Behinderung angenommen. Diese deutlich unterdurchschnittlichen intellektuellen Fähigkeiten begründen eine verminderte Schuldfähigkeit im strafrechtlichen Sinn. Bis heute existiert jedoch keine einheitliche, für die gesamten USA gültige Definition von geistiger Behinderung. Zwischen 1977 und 2001 wurden mindestens 44 Gefangene hingerichtet, die als geistig zurückgeblieben angesehen wurden

Auch nach dem Atkins-Urteil ist in einigen Fällen bei Straftätern trotz des Vorliegens mentaler Retardierung auf die Todesstrafe erkannt worden. Grund hierfür sind oft Zweifel an der Beurteilung der geistigen Fähigkeiten eines Menschen und wissenschaftlich nicht eindeutige oder fehlerfreie Tests. Im Juli 2012 beabsichtigte der Bundesstaat Georgia, einen 52-jährigen geistig Zurückgebliebenen mit der Begründung hinzurichten, dass das Ausmaß seiner Behinderung nicht zweifelsfrei feststehe. Der Bundesstaat Texas exekutierte am 7. August 2012 einen 54-Jährigen, der möglicherweise geistig behindert war, da Ärzte bei ihm einen IQ von 61 diagnostiziert hatten. Texas hat bislang kein Gesetz verabschiedet, das die Atkins-Entscheidung rechtlich umsetzt, sondern 2004 vorübergehende Richtlinien erlassen.

Nach US-Recht besteht hingegen kein generelles Verbot für die Hinrichtung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Voraussetzung für den Vollzug eines Todesurteils ist, dass der Todeskandidat die Gründe seiner Strafe versteht. Dies wird als Beleg für seine Schuldfähigkeit angesehen. Amnesty International ist der Auffassung, dass es durch und durch inkonsequent ist, Personen, die geistig zurückgeblieben sind von der Todesstrafe auszunehmen und diejenigen, die an einer schweren psychischen Krankheit leiden, weiterhin dazu zu verurteilen. Auf Angeklagte, die schwer psychisch gestört sind, trifft dieselbe Argumentation der verminderten Schuldfähigkeit und eingeschränkten Urteilsfähigkeit zu.

Seit Beginn der Wiedervollstreckung der Todesstrafe im Jahr 1977 wurden in den USA über 1.500 Frauen und Männer hingerichtet. Dutzende zeigten schon vor der Verübung der Taten, für die sie zu Tode verurteilt wurden, zum Teil schwere psychische Erkrankungen. In einigen Fällen bestanden erhebliche Zweifel an der Fähigkeit der Angeklagten, dem Verfahren angemessen zu folgen. Wieder andere wurden in psychiatrischen Einrichtungen – teilweise auch medikamentös – behandelt, um sie erst einmal in die Lage zu versetzen, an dem Verfahren teilzunehmen. Weiterhin bestand in einigen Fällen Zweifel an der Fähigkeit, sind schuldig zu bekennen oder die Verteidigung in die eigene Hand zu nehmen. In der Tat haben einige psychisch kranke Straftäter die Todesstrafe als Teil ihrer Suizidbemühungen angestrebt oder den Mord, für den sie angeklagt waren, womöglich nur aus diesem Grund begangen.

Unzureichende anwaltliche Vertretung führte bei einigen Fällen außerdem dazu, dass die Geschworenen im Unklaren über das Vorhandensein oder das Ausmaß der geistigen Störung bei der Person waren, gegen die sie unter Umständen ein Todesurteil verhängen sollten. Was zumindest als mildernder Umstand bewertet werden müsste, kann so leicht zum Gegenteil führen: psychisch kranke Straftäter unter dem Einfluss von Psychopharmaka machen auf die Geschworenen oft einen abwesenden und somit gleichgültigen und reuelosen Eindruck – was bei den Geschworenen bei der Abwägung des Todesurteils gegen eine alternativ mögliche lebenslänglichen Haftstrafe durchaus den Ausschlag für ein Todesurteil geben kann.

Am 11. Mai 2022 wurde Clarence Dixon in Arizona hingerichtet. In seinem Mordprozess wurde die Jury nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt des Verbrechens an schweren Geisteskrankheiten, darunter paranoide Schizophrenie litt.

Derzeit droht mehreren hundert psychisch kranken Straftätern in den USA die Exekution.

Viele psychisch kranke Todeskandidaten sind unter den mindestens 149 Menschen (Stand 7.11.2019), die seit 1977 auf weitere Berufungen verzichtet und ihrer Hinrichtung “zugestimmt” haben.

Positive Entwicklungen der letzten Jahre:

Die Anwendung der TODESSTRAFE GEGEN MINDERJÄHRIGE STRAFTÄTER – Menschen, die zum Tatzeitpunkt unter 18 Jahre alt sind – ist nach internationalem Recht eindeutig verboten. Die USA waren einer der ganz wenigen Staaten, die sich lange weigerten, dieses Verbot zu respektieren. Lange Zeit führten die USA sogar die weltweite Statistik bezüglich der Hinrichtung zur Tatzeit unter 18jähriger an, allein seit 1990 wurden 19 zur Tatzeit Minderjährige hingerichtet. Als der US Supreme Court am 01. März 2005 im Verfahren Simmons gegen Missouri in einer denkbar knappen 5:4-Entscheidung beschied, dass die Verhängung der Todesstrafe gegen Jugendliche unter 18 Jahren gegen das in dem achten Zusatz zur Verfassung verankerte Verbot grausamer Bestrafung verstoße, befanden sich 72 weitere jugendliche Straftäter in den Todestrakten verschiedener Bundesstaaten.

Am 24. Juni 2004 erklärte der Supreme Court des Bundesstaats NEW YORK die Todesstrafe für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber dieses Staats lehnte es im April 2005 ab, die Todesstrafe wiedereinzusetzen.

Die beiden Kammern des Parlaments des Bundesstaats NEW JERSEY beschlossen am 10. und 13. Dezember 2007, die Todesstrafe aus dem Strafgesetz zu streichen. New Jersey war der erste Bundesstaat seit 1965, der die Todesstrafe offiziell abschaffte (Der 14. insgesamt).

Am 18. März 2009 schaffte NEW MEXICO die Todesstrafe ab und war der 15. US-Bundesstaat, der Exekutionen aufgab. Diese Entscheidung trat am 1. Juli 2009 in Kraft.

Nach einer Serie von tragischen Fehlurteilen votierten am 6. und 11. Januar 2011 das Repräsentantenhaus und der Senat des Bundesstaats ILLINOIS für ein Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe. Gouverneur Pat Quinn unterzeichnete das Gesetz am 9. März 2011 und wandelte die Strafen der verbliebenen 15 Todeskandidaten in lebenslange Haft ohne Möglichkeit der Begnadigung um. Illinois war damit der 16. Bundesstaat der USA ohne Todesstrafe.

Am 22. November 2011 kündigte der Gouverneur des US-Bundesstaats OREGON an, bis auf Weiteres auf die Vollstreckung von Todesurteilen zu verzichten. (MORATORIUM)

Am 4. April 2012 stellte der Bundesstaat CONNECTICUT die politischen Weichen zur Abschaffung der Todesstrafe. Der Senat stimmte in einer 20-zu-16-Entscheidung für ein Gesetz, das die Todesstrafe durch lebenslange Haft ohne Möglichkeit der Begnadigung ersetzt. Nach dem Senat stimmte am 11. April 2012 auch die zweite Kammer des Parlaments, das Repräsentantenhaus, der Gesetzesvorlage zu. Die Abgeordneten unterstützten das Vorhaben mit 86 zu 62 Stimmen. Abschließend musste die Gesetzesänderung noch von Gouverneur Dannel Malloy unterzeichnet werden. Dieser leistete am 25. April 2012 seine Unterschrift. Connecticut wurde damit der 17. Bundesstaat ohne Todesstrafe. Auch nach Abschaffung der Todesstrafe blieben die in früheren Jahren gegen zwölf Gefangene verhängten Todesurteile allerdings zunächst in Kraft. Am 13. August 2015 urteilte Connecticuts höchstes Gericht in einer 4-zu-3-Entscheidung, dass die Todesstrafe in dem US-Bundesstaat verfassungswidrig ist. Somit werden die zu diesem Zeitpunkt im Todestrakt noch einsitzenden elf Personen nicht hingerichtet. Am 26. Mai 2016 bekräftigte der Supreme Court von Connecticut erneut in einem 5-zu-2-Votum sein Urteil von 2015 und machte deutlich, dass dies auch die elf Männer im Todestrakt Connecticuts einschließt, deren Todesurteile in lebenslange Haft ohne die Möglichkeit einer vorzeitiger Entlassung umzuwandeln sind.

Am 15. Januar 2013 gab der Gouverneur von MARYLAND, Martin O’Malley, bekannt, dass er der Legislative des Bundesstaates einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe vorlegen werde. Am 6. März 2013 stimmte zunächst der Senat mit 27 gegen 20 Stimmen für diese Initiative, am 15. März 2013 folgte auch das Repräsentantenhaus mit 82 zu 56 Stimmen. Das Gesetz trat am 2. Mai 2013 in Kraft, nachdem es Gouverneur O’Malley ratifiziert hatte. Maryland ist somit der 18. Bundesstaat, der die Todesstrafe abgeschafft hat. Auch in Maryland blieben nach Abschaffung der Todesstrafe im Mai 2013 die in früheren Jahren gegen vier Gefangene verhängten Todesurteile zunächst in Kraft. Anfang Januar 2015 begnadigte der aus dem Amt scheidende Gouverneur die letzten Todeshäftlinge in seinem Staat.

Am 11. Februar 2014 setzte der US-Bundesstaat WASHINGTON die Todesstrafe aus. Gouverneur Jay Inslee, ein Politiker der Demokraten, stoppte die Vollstreckung der Todesstrafe mit der Begründung, sie werde nach eingehender Prüfung widersprüchlich und ungerecht angewendet. „Es gibt zu viele Zweifel, zu viele Fehler im System. Und wenn es darum geht, über den Tod zu entscheiden, steht zu viel auf dem Spiel, um ein unvollkommenes System zu akzeptieren“, sagte er. Das MORATORIUM bedeutet, dass der Gouverneur bis auf weiteres keine Hinrichtungsbefehle unterzeichnen und zum Tode Verurteilten einen Vollstreckungsaufschub erteilen wird.

Ein US-Bundesgericht hatte die Todesstrafe in KALIFORNIEN am 17. Juli 2014 wegen der qualvollen und ungewissen Zeit bis zu ihrer Vollstreckung als verfassungswidrig eingestuft. Seit Wiedereinführung der Todesstrafe im Jahr 1978 sind dort von den mehr als 900 verhängten Todesurteilen „nur“ 13 vollstreckt worden, zuletzt 2006. In der Urteilsbegründung hieß es, dass für die wenigen, die dann tatsächlich hingerichtet würden, die Vollstreckung willkürlich wirke und „keine abschreckende oder bestrafende Wirkung“ erfülle. (Seit März 2019 offizielles MORATORIUM, s.u.)

Der Gouverneur des US-Bundesstaates PENNSYLVANIA hat am 13. Februar 2015 die Vollstreckung der Todesstrafe ausgesetzt. Zur Begründung gab der Anfang 2015 neugewählte Demokrat Tom Wolf an, das System sei „anfällig für Fehler, teuer und alles andere als unfehlbar“. Das MORATORIUM gelte, bis der Bericht einer Untersuchungskommission vorliege, die sich seit vier Jahren mit dem Thema befasst. Seit Wiederzulassung der Todesstrafe sind in Pennsylvania drei Todesurteile vollstreckt worden, zuletzt im Juli 1999.

Am 29. April 2015 verkündete das US Justizministerium dass Todesurteile, die nach BUNDESRECHT verhängt wurden, bis auf weiteres nicht mehr vollstreckt würden. Das US-Justizministerium reagiert mit einer Überprüfung der Hinrichtungsmethode auf Berichte, wonach die Giftspritze zu qualvollen Todeskämpfen geführt habe. Pläne ab Anfang Dezember 2019 insgesamt vier Hinrichtungen durchzuführen scheiterten, da der angerufene Oberste Gerichtshof die Wiederaufnahme von Hinrichtungen auf Bundesebene mit Blick auf die ausgewählte Hinrichtungsmethode (Giftspritze mit nur einem einzigen Wirkstoff) vorerst blockierte. Am 7. April 2020 hob das US-Berufungsgericht für den District of Columbia Circuit den Hinrichtungsstopp jedoch wieder auf. Am 1. Juli 2020 gab auch der Oberste Gerichtshof der USA schließlich grünes Licht zur Wiederaufnahme von Hinrichtungen auf Bundesebene. ==> Dazu mehr weiter unten …

Im Mai 2016 erklärte ein Bezirksgericht im Bundesstaat FLORIDA die Todesstrafe vorübergehend für verfassungswidrig. Es bemängelte, dass es bis dahin einem Richter gestattet war, eine Person unabhängig von einer Empfehlung der Jury zum Tode zu verurteilen.

Am 2. August 2016 entschied der Oberste Gerichtshof des Bundesstaats DELAWARE, dass die Todesstrafen-Statuten des Bundesstaates verfassungswidrig seien, und schaffte die Todesstrafe ab. Delaware wurde somit zum 19. Bundesstaat ohne Todesstrafe. 17 Gefangene, die zu diesem Zeitpunkt zum Tode verurteilt waren, müssen nun lebenslange Freiheitsstrafen verbüßen.

Am 11. Oktober 2018 stufte das Oberste Gericht des US-Bundesstaats WASHINGTON die Todesstrafe als verfassungswidrig ein und schaffte sie somit ab. Washington ist somit der 20. Bundesstaat ohne Todesstrafe. Zum Zeitpunkt der Abschaffung befanden sich noch acht Gefangene im Todestrakt, deren Todesurteile weiterhin in Kraft blieben.

In drei Bundesstaaten ohne Todesstrafe – ILLINOIS, IOWA und NEW MEXICO – scheiterten im Jahr 2018 Versuche, die Todesstrafe per Gesetz wiedereinzuführen.

Am 13. März 2019 verfügte der seit Januar 2019 im Amt befindliche neue Gouverneur von KALIFORNIEN, Gavin Newsom, einen offiziellen Hinrichtungsstopp bei gleichzeitiger Schließung der Hinrichtungskammer im Gefängnis von San Quentin. Auch die politischen Bestrebungen des Staates, eine neue Vorschrift für die tödliche Injektion zu entwickeln, wurde beendet. Der Gouverneur führte als Begründung an, die Todesstrafe widerspreche den Werten Kaliforniens und das Töten eines Menschen sei
„falsch“. In den Todestrakten Kaliforniens befanden sich im März 2019 737 Gefangene, mehr als in jedem anderem Bundesstaat. (MORATORIUM)

“The intentional killing of another person is wrong and as Governor, I will not oversee the execution of any individual. Our death penalty system has been, by all measures, a failure. It has discriminated against defendants who are mentally ill, black and brown, or can’t afford expensive legal representation. It has provided no public safety benefit or value as a deterrent. It has wasted billions of taxpayer dollars. Most of all, the death penalty is absolute. It’s irreversible and irreparable in the event of human error.”
Gavin Newsom, Governor of California, 13 March 2019

Bereits am 26. April 2018 stimmte das Repräsentantenhaus von NEW HAMPSHIRE mit 223 zu 116 für die Senatsvorlage 593, die die Aufhebung der Todesstrafe zum Ziel hat. Den Senat hatte der Gesetzentwurf bereits am 15. März mit 14 zu 10 Stimmen passiert. Die Gesetzesvorlage wäre in Kraft getreten, wenn auch Gouverneur Chris Sununu sie bestätigt hätte. Doch der Politiker der Republikanischen Partei weigerte sich, das Gesetz mit seiner Unterschrift in Kraft zu setzen. Er legte stattdessen am 21. Juni 2018 sein Veto ein und verhinderte so zunächst ein Ende der Todesstrafe in New Hampshire. Die Legislative kann aber mit jeweils 2/3-Mehrheiten auch ein solches Veto des Gouverneurs zu Fall bringen. In New Hampshire gelang dies jetzt erstmals in den USA: Am 30. Mai 2019 überstimmte der Senat von New Hampshire mit 16 zu 8 das Veto von Gouverneur Sununu. Das Abgeordnetenhaus hatte am 23. Mai mit 247 zu 123 ebenfalls dagegen votiert. New Hampshire ist der 21. US-Bundesstaat (von insgesamt 50), der die Todesstrafe abschafft und der neunte in den letzten 15 Jahren. In vier weiteren Staaten haben Gouverneure einen Hinrichtungsstopp verfügt. An die Stelle der Todesstrafe tritt in New Hampshire nun die lebenslange Haftstrafe ohne Möglichkeit der Begnadigung. Die Aufhebung der Todesstrafe soll nicht rückwirkend gelten.

Als 22. Bundesstaat schaffte am 23. März 2020 COLORADO die Todesstrafe ab. Bereits am 22. Mai 2013 gewährte der seinerzeitige Gouverneur des Bundesstaats Colorado einen Vollstreckungsaufschub, dessen Begründung als die Ankündigung eines inoffiziellen Moratoriums für Hinrichtungen in dem Staat ausgelegt worden ist. Der seit Januar 2019 amtierende Gouverneur Jared Polis sprach sich für die Abschaffung der Todesstrafe aus … und ratifizierte daher folgerichtig das ihm von Repräsentantenhaus und Senat vorgelegte Gesetz zur Abschaffung der Todesstrafe. Die Strafen der drei verbliebenen Todeskandidaten des Bundesstaates wurden in lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

Am 24.03.2021 schaffte VIRGINIA als 23. Staat der USA die Todesstrafe ab. Die erste Abschaffung der Todesstrafe in einem Bundesstaat der USA in dem tatsächlich noch bis vor kurzem hingerichtet wurde. Und das nicht zu knapp: mit 113 Hinrichtungen seit Wiedereinsetzung der Todesstrafe in den USA hatte Virginia (knapp vor Oklahoma mit 112) den 2. Platz hinter Texas (570) gehalten. Der erste Staat des Bible Belts und der ehemaligen Südstaaten der die Todesstrafe abgeschafft hat, und ein Staat in dem die Todesstrafe bei Umfragen auch immer noch hohe Zustimmungswerte hat! In der Vergangenheit war Virginia für die meisten Hinrichtungen in der US-Geschichte verantwortlich, wobei besonders Schwarze von der Willkür dieser Strafe betroffen waren. Ein Angeklagter mit schwarzer Hautfarbe wurde in Virginia mit dreimal höherer Wahrscheinlichkeit zum Tode verurteilt, wenn das Opfer weiß statt schwarz war.

Am 01. Juli 2021 gab Justizminister Garland bekannt, dass die Regierung von US-Präsident Biden Hinrichtungen auf BUNDESEBENE vorerst aussetzt. Das Moratorium bleibe so lange in Kraft, bis alle Vorgehensweisen und Richtlinien überprüft sind, um sicherzustellen, dass die Strafjustiz verfassungsgemäß, fair und menschlich handle, erklärte das Justizministerium. ==> mehr dazu weiter unten. Keine Auswirkungen hat das Moratorium allerdings auf die Vollstreckung von Todesurteilen durch die Bundesstaaten. Sie können weiter Hinrichtungen durchführen lassen.
Die scheidende Gouverneurin von OREGON, Kate Brown, hat 2022 alle 17 noch anhängigen Todesurteile in diesem US-Bundesstaat in Haftstrafen umgewandelt.
Bislang haben damit 23 der 50 US-Bundesstaaten sowie der Hauptstadtbezirk District of Columbia die Todesstrafe abgeschafft. (Michigan und Wisconsin im Übrigen bereits seit 1846 bzw. 1853 – und somit früher als jeder Staat der Welt, auch wenn San Marino 1865, Venezuela 1867 und Costa Rica 1877 die Todesstrafe immerhin ebenfalls im 19. Jh. für alle Straftaten abschafften. Sollte man auch mal erwähnen …) Durch die Kombination dieser 23 Staaten mit den Staaten, die derzeit vom Gouverneur oder den Gerichten verhängte Hinrichtungssperren haben, weigert sich jetzt eine Mehrheit der Staaten, ihre Gefangenen hinzurichten. Auch wenn dies – bis auf den letzten Zugang Virginia! – noch nicht die die Staaten mit den großen Hinrichtungs- und Todesstrafenzahlen sind: das Blatt wendet sich!

Nicht alle Gesetzesinitiativen zur Abschaffung der Todesstrafe sind erfolgreich:

In KALIFORNIEN sollte mit einem Referendum über ein Ende der Todesstrafe entschieden werden. Parallel zur US-Präsidentschaftswahl am 6. November 2012 wurden die Wählerinnen und Wähler gefragt, ob es statt der Todesstrafe in Kalifornien als Höchststrafe künftig „lebenslange Haft ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung“ geben soll. Eine knappe Mehrheit der Wähler lehnte dies ab und sprach sich mit 52,7 Prozent für die Beibehaltung der Todesstrafe aus. Seit März 2019 gibt es allerdings einen offiziellen Hinrichtungsstopp (s.o.)

Im Bundesstaat NEBRASKA stimmte der Gesetzgeber am 16. April 2015 einem Gesetzentwurf zur Abschaffung der Todesstrafe mit 30 zu 13 Stimmen zu. Bei einer weiteren Abstimmung am 20. Mai 2015 fiel das Votum in einer 32-zu-15-Entscheidung ebenso deutlich aus. Die Parlamentarier überstimmten auch das Veto des republikanischen Gouverneurs am 27. Mai 2015 mit 30 zu 19 Stimmen und sorgten damit vorübergehend für ein Ende der Todesstrafe. Dieser Entschluss wurde mit einer Volksabstimmung (Referendum No. 426) am 8. November 2016 wieder rückgängig gemacht: 61 % der Wählerinnen und Wähler sprachen sich für die Wiedereinführung der Todesstrafe aus.

In OKLAHOMA votierten bei einem Referendum am 8. November 2016 rund 66 % der Stimmberechtigten dafür, die Todesstrafe verschärft anzuwenden, indem sie in der Verfassung des Bundesstaates verankert wird (Proposition 776). Der neu eingefügte Abschnitt in der Landesverfassung ermächtigt den Gesetzgeber, jede Hinrichtungsmethode festzulegen, die nicht durch die Verfassung der Vereinigten Staaten verboten ist. Der Verfassungszusatz errichtet zudem eine hohe Hürde für eine Abschaffung der Todesstrafe durch Reformgesetze oder Gerichtsurteile.

…. doch auch in New Hampshire brauchte es schließlich mehrere Anläufe, seit 2000 die Häuser erstmals für eine Abschaffung der Todesstrafe stimmten und damals ebenfalls (allerdings von einer demokratischen Gouverneurin) ausgebremst wurden … es besteht also Hoffnung …

Großer Rückschritt im Jahr 2020 – Wiederaufnahme von Hinrichtungen nach Bundesrecht nach 17 Jahren:

Seit 2003 hatte es in den USA keine Hinrichtung mehr auf Bundesebene gegeben. Die Todesstrafe wurde seitdem zwar weiter verhängt, aber nicht vollstreckt. Und auch zwischen 1988 und 2003 wurden insgesamt lediglich drei Todesurteile nach Bundesrecht vollstreckt, unter ihnen 2001 Timothy McVeigh, der 1995 den Bombenanschlag in Oklahoma City verübt hatte.
Für die Regierung von Präsident Donald Trump war der Kampf gegen das Verbrechen ein zentrales Wahlversprechen. Seit 2019 strebte sie intensiv danach, das unter der Administration Barack Obamas eingerichtete De-facto-Hinrichtungsmoratorium des Bundes zu beenden. Im Wahlkampf 2020 und zum Ende der Amtszeit von Präsident Trump unternahm dieser mit seinem Justizminister Barr – trotz grassierender COVID-19-Pandemie, als alle Bundesstaaten ihre Hinrichtungsmaschinerien, nicht zuletzt zum Schutz der Vollzugsbeamten, fast vollständig zurückgefahren hatten – große Anstrengungen, wieder Menschen hinrichten zu lassen, die nach Bundesrecht zum Tode verurteilt wurden. Erstmals seit 17 Jahren wurden wieder ab Juli 2020 solche Hinrichtungen vollzogen. In den Folgemonaten sind insgesamt 13 Gefangene exekutiert worden. Nie zuvor wurden durch eine US-Regierung so viele Todesurteile in so kurzer Zeit vollstreckt.
Um die ersten drei Hinrichtungen entbrannte ein heftiger juristischer Streit. In den letzten Tagen vor den angesetzten Terminen wurden von den Anwälten der Todeskandidaten mehrere Anträge und Beschwerden in letzter Minute eingereicht, darunter erneut ein Antrag, der die Verfassungsmäßigkeit der vorgesehenen Hinrichtungsmethode in Zweifel zieht. Der Oberste Gerichtshof urteilte schließlich in der Nacht zu Dienstag, 14. Juli 2020, in einer knappen 5:4-Entscheidung und befand, dass die Hinrichtungen wie geplant stattfinden sollten. Daraufhin wurde der 47-jährige verurteilte Mörder Daniel Lee mit der Giftspritze exekutiert. Er hatte 21 Jahre im Gefängnis verbracht. Die Hinterbliebenen von Lees Opfern waren mit der Todesstrafe gegen ihn nicht einverstanden und hatten vergeblich gefordert, diese in eine lebenslange Haftstrafe umzuwandeln … und dann stellte sich Justizminister Barr tatsächlich noch vor ein Mikrofon und verkündete dreist, die Wiederaufnahme von Hinrichtungen sei nicht zuletzt notwendig, um den Familien des Opfers Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: „the federal government owed the victims and their families to carry forward the sentence imposed by our justice system”. Gegen deren erklärten Willen?
In den frühen Morgenstunden des 16. Juli 2020 wurde auch das Todesurteil an dem 68-jährigen Wesley Purkey vollstreckt, von dem es heißt, er litt an Demenz und konnte die Gründe seiner Bestrafung nicht mehr begreifen.
Die dritte Hinrichtung binnen vier Tagen wurde wie geplant am 17. Juli 2020 nachmittags an dem 52-jährigen Dustin Honken vollzogen, der des Mordes an fünf Menschen überführt worden war.
Am 26. August 2020 erfolgte die vierte Hinrichtung. Lezmond Mitchell starb durch eine Giftspritze. Der 38-jährige war Angehöriger des Indianerstamms der Navajo. 2001 hatte er gemeinsam mit einem Komplizen eine Frau und ein Kind getötet. Die Hinrichtung wurde vollzogen, obwohl die Interamerikanische Menschenrechtskommission (ein unabhängiges Organ der Organisation Amerikanischer Staaten) einen Vollstreckungsaufschub beantragt hatte.
Die fünfte Exekution fand in schneller Folge zwei Tage später statt. Der 45-jährige Keith Dwayne Nelson wurde am 28. August 2020 hingerichtet. Nelson war im Jahr 2003 wegen der Entführung und Ermordung eines Kindes zum Tode verurteilt worden.
Die Hinrichtungen Nummer sechs und sieben folgten am 22. und 24. September 2020 wie geplant und wurden an verurteilten Mördern vollzogen.
Am 19. November 2020 wurde das achte Todesurteil vollstreckt, und zwar an dem Afroamerikaner Orlando Hall. Hall war 1995 wegen Beteiligung an der Entführung, Vergewaltigung und Ermordung eines 16-jährigen Mädchens schuldig gesprochen und von einer nur mit Weißen besetzten Jury zum Tode verurteilt worden. Die Hinrichtung des 49-Jährigen erfolgte, nachdem der Supreme Court Halls Einspruch zurückgewiesen hatte. Erstmals war die neue Verfassungsrichterin Amy Coney Barrett an einer solchen Entscheidung beteiligt. Sie gab an der Seite ihrer fünf konservativen Kollegen grünes Licht für die Exekution.
Am 10. Dezember 2020, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, ist der 40-jährige Afroamerikaner Brandon Bernard exekutiert worden, obwohl sich zahlreiche prominente Unterstützer_innen dagegen ausgesprochen hatten. Bernard war als 18-jähriges Gangmitglied wegen Mordes festgenommen und zum Tode verurteilt worden. Er ist ein Komplize von Christopher Vialva, dessen Todesurteil bereits am 22. September vollstreckt worden war.
Der Afroamerikaner Alfred Bourgeois (56) wurde am 11. Dezember 2020 mit einer Giftspritze als 10. Gefangener getötet. Er war im Jahr 2004 schuldig gesprochen worden, seine damals zweieinhalb Jahre alte Tochter brutal umgebracht zu haben. Er litt an einer geistigen Behinderung.
Lisa Montgomery wurde am 13. Januar 2021 exekutiert. Sie ist die erste Frau seit 1953, die von der US-Bundesregierung hingerichtet wurde. Montgomery (52) wurde für schuldig befunden, im Dezember 2004 eine schwangere Frau getötet zu haben. Sie war eine von nur 55 Frauen, die in US-amerikanischen Gefängnissen im Todestrakt einsitzen.
Die Hinrichtung von Corey Johnson erfolgte am 14. Januar 2021. Der 52-Jährige war zum Tode verurteilt worden, weil er 1992 im US-Bundesstaat Virginia im Zusammenhang mit bandenmäßig betriebenem Drogenhandel sieben Menschen ermordet hatte. Er soll mit einem IQ von 69 geistig stark eingeschränkt gewesen sein. Die Hinrichtung geistig Behinderter ist in den USA verboten.
Zwei Tage darauf, am 16. Januar 2021, wurde Dustin Higgs mittels Giftspritze getötet. Der 48-jährige Higgs erhielt die Todesstrafe, weil man ihn für die Entführung und Ermordung dreier junger Frauen im Jahr 1996 verantwortlich machte. Er bestritt die Taten bis zuletzt.
Seit 120 Jahren hat keine Bundesregierung mehr so viele Menschen hinrichten lassen.
Mit sämtlichen Vollstreckungen im November bis Januar brach die amtierende Bundesregierung von Donald Trump zudem mit einer jahrzehntelangen Gepflogenheit, kurz vor einem Regierungswechsel (presidential transition) keine Hinrichtungen auf Bundesebene mehr zu vollziehen. [Aber wenn man angeblich ja gar nicht abgewählt wurde, gibt es natürlich auch keine presidential transition … sorry, bei dem Menschen kann ich mir die Polemik nicht verkneifen]
Am 27. November 2020 wurde des Weiteren eine geänderte Vorschrift veröffentlicht, die es der Bundesregierung künftig erlaubt, neben der Giftspritze zusätzliche Hinrichtungsmethoden einzusetzen, um Häftlinge in den Todeszellen des Bundes zu exekutieren. Demnach sollen Exekutionen mit allen Hinrichtungsmethoden durchgeführt werden können, die in dem Bundesstaat legal sind, in dem das Todesurteil ergangen war. Hinrichtungen werden meist per Giftspritze vollzogen, doch immer mehr Staaten sehen angesichts der Probleme bei der Beschaffung der Hinrichtungsdrogen auch Alternativen vor.
Der gewählte Präsident Joe Biden gilt (inzwischen) als Gegner der Todesstrafe und hatte im Wahlkampf wiederholt angekündigt, Rechtsverordnungen in die Wege zu leiten, um die Exekutionen auf Bundesebene einzustellen und Todesstrafen in lebenslängliche Haftstrafen umzuwandeln.
Die US-Regierung hat am 01. Juli 2021 ein Moratorium für Hinrichtungen auf Bundesebene beschlossen. Wie Justizminister Merrick Garland mitteilte, werden in den Bundesgefängnissen so lange keine Todesurteile mehr vollstreckt bis eine Überprüfung seines Ministeriums abgeschlossen ist. Es gebe “ernsthafte Bedenken” gegen die Vollstreckung der Todesstrafe, schrieb Garland in einem Vermerk. Er verwies auf mögliche “Willkür”, die überproportionale Betroffenheit von Schwarzen und die “beunruhigende” Zahl von Fehlurteilen. Das Justizministerium müsse sicherstellen, dass die Bundesjustiz jeden Menschen verfassungsgemäß und gesetzeskonform, aber auch fair und menschlich behandele, erklärte Garland.
Er ordnete an, die von der Trump-Regierung durchgesetzten Veränderungen der Richtlinien für Hinrichtungen zu überprüfen. Unter anderem soll untersucht werden, ob die in der Giftspritze verwendete Substanz Pentobarbital mit hohem Risiko Schmerzen und Qualen verursacht. Zudem sollen Vorschriften geprüft werden, die Hinrichtungen beschleunigen sollten. Auch die neu eingeführte Möglichkeit, bei Exekutionen auf Methoden und Personal der Bundesstaaten zurückgreifen zu können, soll auf den Prüfstand kommen.
Kristina Roth, Senior Advocate for Criminal Justice Programs bei Amnesty International USA dazu: „Das Moratorium für Hinrichtungen auf Bundesebene ist ein willkommener erster Schritt, aber es muss sofort mehr getan werden, um die Anwendung der ultimativen grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Strafe zu stoppen, einschließlich der Umwandlung aller Bundesstrafen. Präsident Biden hat die verfassungsmäßige Befugnis, alle Todesurteile des Bundes umzuwandeln und muss dies tun, um die USA ihren Menschenrechtsverpflichtungen näher zu bringen. Ein Moratorium kann denjenigen, die sich jetzt in der Todeszelle des Bundes befinden, eine Atempause verschaffen, aber von einer zukünftigen Regierung mit einer anderen Perspektive auf die endgültige Bestrafung leicht rückgängig gemacht werden. […] Die Todesstrafe ist nicht reparabel und muss abgeschafft werden. Egal wer angeklagt ist und unabhängig von der Art oder den Umständen des Verbrechens, der Schuld oder Unschuld oder der Hinrichtungsmethode verletzt die Todesstrafe das Recht eines Jeden, frei von grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Strafe zu sein. Ihre Verwendung ist irreversibel und das Risiko, eine unschuldige Person versehentlich hinrichten zu lassen, kann niemals ausgeschlossen werden.
Die Kongressabgeordnete Ayanna Pressley (MA-07) gab die folgende Erklärung zum Moratorium des US-Justizministeriums (DOJ) für bundesstaatliche Hinrichtungen ab:
„Die Todesstrafe ist eine grausame, ungerechte und unmenschliche Strafe, die in unserer Gesellschaft keinen Platz hat. […] „Wir fordern Präsident Biden weiterhin auf, die Urteile der zum Tode verurteilten Personen umzuwandeln und ein faires Verfahren zur Neuverurteilung zu gewährleisten, die Staatsanwälte des DOJ anzuweisen, die Todesstrafe nicht mehr zu beantragen und die Todestrakteinrichtung in Terre Haute aufzulösen. Wir fordern den Kongress auf, meinen Gesetzentwurf mit Senator Durbin zu verabschieden, um die Todesstrafe des Bundes vollständig abzuschaffen, ihre Abschaffung gesetzlich zu kodifizieren und ihre Wiedereinsetzung durch zukünftige Regierungen zu verhindern.“ … geschehen ist seitdem allerdings nichts.

Todesurteile, die von Bundesgerichten gefällt werden, sind in den USA selten. Üblicherweise ist die Todesstrafe eine Domäne der US-Bundesstaaten. Nach Bundesrecht geahndet werden können Vergehen nach dem Militärstrafrecht oder neben Mord wenige andere Verbrechen – darunter auch Terrorismus, schwere Drogendelikte und Spionage. Fälle, in denen Straftäterinnen und Straftäter von Bundesgerichten zum Tode verurteilt wurden, liegen in der Hand der Bundesregierung. Mit Stand Dezember 2022 warteten 44 nach Bundesrecht zum Tode Verurteilte auf ihre Hinrichtung, einige davon seit Jahrzehnten; alle von ihnen sind Männer.
Wachsender Streit um die Giftspritze

Zum Tode Verurteilte werden mittels der Giftspritze exekutiert. Diese primäre Hinrichtungsmethode hat sich in der Praxis durchgesetzt und wird aktuell von allen 27 Bundesstaaten mit Todesstrafengesetzgebung, der Bundesregierung sowie dem Militär vorgesehen. Ab Anfang 2014 begannen einige Bundesstaaten, zusätzliche oder alternative Hinrichtungsmethoden wieder einzuführen.

Hinrichtungen mit der Giftspritze sind in den USA seit 1977 erlaubt. In der Regel werden dem Todeskandidaten nacheinander drei verschiedene todbringende Chemikalien injiziert. Das erste Mittel führt zur Bewusstlosigkeit, die zweite Injektion lähmt die Muskeln, die Atmung setzt aus, und erst die dritte Droge führt zum Tod durch Herzstillstand. Die erste Hinrichtung in den USA mit der Giftspritze fand am 7. Dezember 1982 in Texas statt. Heute ist die letale Injektion die bevorzugte und nahezu ausschließlich praktizierte Exekutionsart in den USA.

Bei ihrer Einführung wurde die Hinrichtung mit der Giftspritze als „moderne“ und „humane“ Tötungsmethode angepriesen. Doch wie schmerzhaft ist die Hinrichtung durch die Giftinjektion? – darüber wird in den USA inzwischen immer heftiger gestritten. Schon im Jahr 2005 hatten Ärzte gewarnt, dass diese Art von Hinrichtung häufig mit Schmerzen verbunden sei. In vielen Fällen sei die verabreichte Dosis des Betäubungsmittels zu gering, um den Verlust des Bewusstseins zu erreichen, hieß es in einer im britischen Fachmagazin „Lancet“ veröffentlichten Studie, die sich auf die Ergebnisse von Obduktionen Hingerichteter stützt. Dieser Befund kann insofern nicht verwundern, als die Methode der letalen Injektion auf einem Protokoll basiert, das vor Jahrzehnten ohne wissenschaftlichen Hintergrund erstellt wurde und bis heute ohne Veränderung Anwendung findet. Der Einsatz der Giftspritze kaschiert die Grausamkeit des Tötungsaktes durch den Anschein klinischer Sauberkeit – wobei es trotz aller Technik in der Praxis immer wieder zu Pannen kommt: Inkompetenz, Nachlässigkeit und technische wie medizinische Komplikationen haben vereinzelt zum Versagen dieser Methode geführt.

Der Oberste Gerichtshof in Washington befand am 16. April 2008 in einer Sieben-zu-Zwei-Entscheidung die Anwendung der Giftspritze bei Hinrichtungen für zulässig und räumte Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit damit aus. Bis zu dieser Grundsatzentscheidung gab es einen siebenmonatigen faktischen landesweiten Hinrichtungsstopp, da 23 Bundesstaaten alle Hinrichtungstermine aufschoben.

Nach dem Auslaufen des Vollstreckungsstopps war ein starker Anstieg der Hinrichtungen befürchtet worden. Dass es nicht dazu kam, zeigt die Verunsicherung ausgelöst durch die nachträglichen Entlastungen von zum Tode Verurteilten durch neue DNA-Beweise und die Probleme der Todesstrafe hinsichtlich fairer Berufungsprozesse.

Die Gefängnisverwaltungen in den US-Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe gilt, haben seit einigen Jahren Schwierigkeiten, die Giftstoffe für Hinrichtungen zu beschaffen. Immer mehr Pharmahersteller haben in den vergangenen Jahren beschlossen, keine Mittel mehr für Hinrichtungen zu liefern. Das sind eigentlich Medikamente, die Menschen helfen sollen und die von US-Gefängnissen zweckentfremdet werden, um verurteilte Straftäter zu töten. Den Anfang machte 2011 der einzige Pharmahersteller der USA, der bis dahin noch das für die Giftinjektion benötigte Narkotikum Natrium-Thiopental erzeugt hatte. Unter dem Druck wachsender Proteste stellte er Produktion und Vertrieb dieses Mittels ein. Einige Bundesstaaten suchen, da ihre Lagerbestände aufgebraucht sind oder zur Neige gehen, auf zum Teil fragwürdige Weise nun nach Alternativen. Sie kauften beispielsweise Natrium-Thiopental von ausländischen Herstellern und importierten die Substanzen über Dritthändler ohne Zertifizierung und somit auf eine Weise in die USA, gegen die nach Bundesrecht Klage erhoben worden ist. Die Drogenbehörde (Drug Enforcement Administration – DEA) im US-Justizministerium untersuchte einige dieser Importe. Andere Bundesstaaten versorgen sich bei sog. Compounding Pharmacies, also Apotheken, die die Mittel für sie zusammenmischen.

Ende Januar 2011 wandten sich 13 Bundesstaaten an das Bundesjustizministerium und baten um Unterstützung bei der Versorgung mit dem knapp werdenden Hinrichtungsgift Natrium-Thiopental. Es handelt sich um die Staaten Alabama, Colorado, Delaware, Florida, Idaho, Mississippi, Missouri, Nevada,Oregon, Tennessee, Utah, Washington und Wyoming. Es wurden Anstrengungen unternommen,den Wirkstoff vor allem aus Europa zu importieren, wo er noch produziert wird. Arizona, Arkansas, Kalifornien, Georgia und Tennessee versuchten, Lieferungen aus Großbritannien zu beziehen, während Nebraska eine Partie des Gifts aus Indien beschaffte. Europäische Länder, darunter auch Großbritannien und Italien ordneten daraufhin eine Ausfuhrbeschränkung für das Narkosemittel in die USA an, um sicherzustellen, dass es nicht zu Hinrichtungszwecken eingesetzt wird. Das indische Unternehmen hat mittlerweile verlauten lassen, dass es ebenfalls keine Substanzen mehr an Interessenten verkaufen wird, die diese Produkte für Hinrichtungen verwenden möchten. Anfang Dezember 2011 setzte die EU-Kommission eine Regelung in Kraft, die grundsätzlich eine Ausfuhr von Natrium-Thiopental an Staaten außerhalb der Union nur noch mit einer Sondergenehmigung ermöglicht. Anfang September 2013 leitete auch die Schweiz gesetzgeberische Vorkehrungen ein, um die Lieferung von Gift für US-Todesspritzen zu unterbinden. Im Jahr 2017 waren es mehr als 20 amerikanische wie europäische Pharmakonzerne, die sich strikt weigern, ihre Pharmazeutika zu Hinrichtungszwecken zu verkaufen.

Der Engpass bei der Beschaffung der todbringenden Drogen für Giftspitzen lässt die Bundesstaaten seit Anfang 2011 mit neuen Giftmischungen oder einer veränderten Abfolge experimentieren. Sie greifen dabei auf wissenschaftlich nicht getestete Methoden der Hinrichtung zurück. Die Staaten Alabama, Arizona, Delaware, Florida, Georgia, Mississippi, Ohio, Oklahoma, South Carolina, Texas und Virginia ersetzten das Betäubungsmittel Natrium-Thiopental durch das auch in der Tiermedizin verwendete Barbiturat Pentobarbital, um Gefangene zu exekutieren. Die Strafvollzugsbehörden passten ihre Hinrichtungsvorschriften entsprechend an. Einige Bundesstaaten führen zudem seit 2012 Hinrichtungen mit nur noch einem statt drei Giftstoffen aus (z. B. Texas, Missouri, Florida). Eingesetzt wird dabei eine Überdosis eines starken Betäubungsmittels wie zum Beispiel das Narkosemittel Etomidat. Einziger Lizenzträger für die Herstellung von Pentobarbital in den USA ist ein dänischer Pharmahersteller. Auch dieses Unternehmen hat den Einsatz des Pharmazeutikums zu Hinrichtungszwecken verurteilt und seine Tauglichkeit für einen solchen Einsatz verneint. Am 11. Juli 2011 änderte das Unternehmen sein Vertriebsprogramm, das die Belieferung von Gefängnissen in Bundesstaaten mit Todesstrafe ausschließt. Auf dieses Weise soll sichergestellt werden, dass das Medikament künftig nicht zum Vollzug der Todesstrafe missbraucht wird. Im Mai 2012 hat Missouri als erster Staat auf die Ankündigung reagiert und sein Hinrichtungsprotokoll geändert. Zukünftig sollen Hinrichtungen mit einer hohen Dosis des weit verbreiteten Narkosemittels Propofol als einziger Chemikalie durchgeführt werden. Größter Hersteller dieses Präparats ist die deutsche Firma Fresenius Kabi aus Hessen. Als momentan einziger Anbieter von Propofol in den USA will der Pharmahersteller seine Lieferungen künftig genau kontrollieren. Seit Mitte September 2012 müssen Großhändler in den USA eine schriftliche Erklärung gegenüber Fresenius Kabi abgeben, wonach sie sich verpflichten, „nicht an Gefängnisse, nicht an Strafvollzugsbehörden und nicht an Gefängniskrankenhäuser zu liefern“. Mitte August 2012 nahm die EU-Kommission zudem die Prüfung auf, Propofol in die Anti-Folter Verordnung der EU aufzunehmen, um einen Missbrauch des Narkotikums zur Vollstreckung der Todesstrafe zu verhindern. Am 13. Mai 2016 gab der US-Pharmakonzern Pfizer bekannt, den Einsatz seiner Medikamente bei Hinrichtungen zu untersagen. Inzwischen weigern sich alle US-Konzerne und 22 Konzerne weltweit ihre Medikamente für die missbräuchliche Verwendung zu Hinrichtungen in die USA beziehungsweise an die Gefängnisverwaltungen zu verkaufen. Auch die 2 deutschen Konzerne, die bis vor 4 Jahren noch geliefert hatten stellten die Lieferungen inzwischen ein – und das nicht zuletzt aufgrund intensiver Lobbyarbeit von Amnesty Deutschland und der Koordinationsgruppe USA.

Im April 2013 kündigten die Gefängnisbehörden im Bundesstaat Arkansas an, ein neues Medikament, Phenobarbital, für tödliche Injektionen einzusetzen. Phenobarbital wird üblicherweise verwendet, um Krampfanfälle zu behandeln, ist aber noch nie zu Hinrichtungszwecken in den USA benutzt worden. Einige Experten befürchten daher, dass das für diesen Zweck ungetestete Mittel eine unmenschliche Behandlung bedeuten könne [wo ist das Problem? Der 8. Verfassungszusatz verbietet doch lediglich „grausame und ungewöhnliche“, nicht wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte es vorsieht „grausame, unmenschliche und erniedrigende“ Bestrafungen …] und warnten davor, Gefangene für Experimente zu gebrauchen. Arkansas plant zudem, das Medikament Lorazepam vor der Vollstreckung als Beruhigungsmittel zu verabreichen.

Die US-Staaten Ohio und Oklahoma richten seit Anfang 2014 ebenfalls mit einem bis dahin noch nie in den USA ausprobierten Giftmix hin. In Ohio wird das Beruhigungsmittel Midazolam und das Schmerzmittel Hydromorphon in einer tödlichen Dosis injiziert, in Oklahoma kommt eine Kombination aus Midazolam und Vecuroniumbromid (zur Muskellähmung) zum Einsatz. Berichten zufolge rang ein Delinquent bei der ersten Exekution dieser Art in Ohio am 16. Januar 2014 fast 30 Minuten lang mit dem Tod. Nach massiver Kritik wurden in Ohio alle für 2015 geplanten Hinrichtungen ausgesetzt und mit der Erarbeitung neuer Richtlinien bei der Vollstreckung begonnen. Am 29. April 2014 mündete auch im Bundesstaat Oklahoma eine Vollstreckung mit einem nie zuvor verwendeten Giftmix in einen langen und qualvollen Todeskampf. Eine weitere „verpfuschte“ Hinrichtung ereignete sich am 23. Juli 2014 im Bundesstaat Arizona. Fast zwei Stunden dauerte die Exekution, bei der die gleiche Giftmischung zum Einsatz kam, die bereits in Ohio im Januar 2014 Probleme bereitet hatte.
Der Supreme Court hat am 29. Juni 2015 in einer denkbar knappen 5:4 Entscheidung den Einsatz von Giftspritzen zur Vollstreckung der Todesstrafe trotz mehrerer qualvoller Zwischenfälle gebilligt. Konkret ging es um die Verwendung des kaum erprobten Beruhigungsmittels Midazolam, das die Todeskandidaten zunächst betäuben soll, ehe hochgiftige Drogen zum Herzstillstand führen. Die Richter befanden, dass die Kläger keine alternative Hinrichtungsmethode mit „einem geringeren Schmerzrisiko“ aufgezeigt hätten.

Rechtsstreits über die Zusammensetzung der Giftspritze haben in den Bundesstaaten Georgia (Juli 2013), in Missouri und Florida (November 2013), in Louisiana (erneut Juni 2016) sowie in Tennessee (April 2015) die Vollstreckung von Todesurteilen aufgeschoben. Schwierigkeiten, Änderungen der Hinrichtungsmethode durch Umstellung auf andere chemische Substanzen rechtlich umzusetzen, haben den Vollzug der Todesstrafe in Kalifornien, North Carolina, Arkansas und auf Bundesebene zum Erliegen gebracht.

Da die bisher für Hinrichtungen verwendeten Injektionsmittel kaum mehr erhältlich sind, haben einige Bundesstaaten vorsorglich gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen, um die Todesstrafe wieder von Erschießungskommandos vollstrecken zu lassen, den elektrischen Stuhl oder Gaskammern zu reaktivieren. Andere Bundesstaaten decken sich aus dubiosen Quellen mit Giftstoffen ein, etwa von nicht bundesweit zertifizierten Herstellern. Sie haben Gesetze erlassen, wonach die Justiz die Herkunft und den Hersteller der verwendeten Drogen als „Staatsgeheimnis“ verschweigen dürfen. [Staatsgeheimnisse rund um die Todesstrafe? Das hatte ich doch gerade in dem Text zur Todesstrafe in China schon … irgendwie ist das nicht gerade die Art der Annäherung von USA und China die wir uns wünschen]

Im Übrigen beschäftigt die Giftspritze nicht nur die US-Gerichte, sondern derzeit auch das Landgericht Oldenburg:

In dem Fall geht es um den Export eines Tierarzneimittels in die USA und nach Japan durch eine Pharmafirma mit einer Niederlassung im niedersächsischen Landkreis Cloppenburg in den Jahren 2017 und 2018. Das Medikament enthält den Wirkstoff Natrium-Pentobarbital, der in der Humanmedizin als Schlafmittel verwendet und in der Tiermedizin zum Einschläfern eingesetzt wird. Bei hoher Dosierung wirkt es auch bei Menschen tödlich und kann daher für Hinrichtungen mit der Giftspritze eingesetzt werden. Deshalb ist ein Export aus der EU in solchen Fällen reglementiert und laut Außenwirtschaftsgesetz nur mit Sondergenehmigung erlaubt. Diese lag aber laut Staatsanwaltschaft nicht vor.
Ursprünglich hatte das Landgericht Oldenburg es abgelehnt, Anklage gegen die drei Mitarbeiter zu erheben. Anfang Mai 2021 gab aber das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft recht und korrigierte nunmehr die Nichtzulassung der Anklage durch das Landgericht. Die drei Beschäftigten der Pharmafirma werden sich vor Gericht für das nicht genehmigte Exportgeschäft verantworten müssen.

2022 könnte als „Jahr der verpfuschten Hinrichtungen“ in die Geschichte eingehen: Im Jahr 2022 wurde in den USA bei 18 Menschen die Todesstrafe vollstreckt. Sieben der 20 Hinrichtungsversuche seien nach Angaben des Death Penalty Information Centers „sichtlich problematisch“ gewesen. Gründe hierfür seien „die Inkompetenz der Hinrichtenden, die Nichteinhaltung von Protokollen oder Mängel an den Protokollen selbst“. Im Juli etwa habe ein Hinrichtender bei einer Exekution in Alabama drei Stunden gebraucht, um einen Infusionsschlauch zu legen. Dies sei die längste verpfuschte Hinrichtung per Giftspritze in der Geschichte der USA gewesen. Die Hinrichtung von Kenneth Eugene Smith. Alabama, musste sogar komplett abgebrochen werden (https://deathpenaltyinfo.org/executions/botched-executions – Fälle 54-60)

In vielen US-Bundesstaaten wird fieberhaft nach alternativen Methoden zur Durchführung der Todesstrafe gesucht. Der im Südwesten der USA gelegene Bundesstaat Arizona will die Todesstrafe wieder vollstrecken. Zum Einsatz kommen soll das Giftgas Cyanwasserstoff (Blausäure), das in deutschen Konzentrationslagern unter dem Namen „Zyklon B“ für Massenmorde verwendet worden war. Im Juni 2021 wurden Vorbereitungen zur Reaktivierung einer Gaskammer getroffen.
Im Mai 2021 stimmten beide Kammern des Parlaments im Bundesstaat South Carolina dafür, ein Erschießungskommando aufzustellen, um die Todesstrafe wieder vollstrecken zu können. Diese alternative Hinrichtungsmethode soll neben dem elektrischen Stuhl zum Einsatz kommen, wenn keine Medikamente für die tödliche Injektion verfügbar sind.

NÜTZLICHE INFORMATIONEN
Die Webseite des „Death Penalty Information Centers“ (http://www.deathpenaltyinfo.org/), eine angesehene unparteiische und private Organisation, bietet Zugriff auf detaillierte Informationen, Reportagen, Analysen und Pressemitteilungen zu dem Themenkomplex der Todesstrafe in den USA.
Das „Innocence Project“ (https://innocenceproject.org/) ist eine US-amerikanische Non-Profit-Organisation, die sich um die Aufklärung von Justizirrtümern bemüht, darunter auch immer wieder Todesstrafenfälle.

21. Juli 2023